Bei Tag und bei Nacht
dem Turm. In den großen, hellen Räumen würde Platz genug sein für Kinder, das Obergeschoss wäre ideal als Studio, und Grant hätte jederzeit seine Ruhe im Turm.
Vor den Ausstellungen würde seine Nähe sie beruhigen, bis die Nerven nicht mehr zitterten. Viele bunte Blumen würden sie im Garten pflanzen und in der Nacht der Brandung und Grants ruhigen Atemzügen lauschen.
»Was ist los mit dir, schläfst du ein?«, hörte sie ihn fragen und spürte gleichzeitig seinen Kuss.
»Ich träume vor mich hin«, antwortete sie leise. »Der Sommer soll nicht so schnell zu Ende gehen.«
Grant fröstelte plötzlich und zog Gennie enger an sich. »Es wird sich nicht vermeiden lassen. Das Meer ist auch im Winter schön.«
Wird Gennie dann noch hier sein? Grant wünschte es sich, denn mit ihr weggehen konnte er nicht. Sein Leben war so sehr auf Alleinsein und Einsamkeit abgestellt, dass er einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit aufgeben müsste, wollte er das grundlegend ändern. Gennie hatte immer im Rampenlicht gestanden. War das schon zu ihrer zweiten Natur geworden? Könnte er von ihr verlangen, ihm zuliebe darauf zu verzichten? Der Gedanke an ein Leben ohne Gennie schmerzte.
Es hätte nie so weit kommen dürfen. Trotzdem mochte er keine Minute ihres Zusammenseins missen. Gennie hier festhalten? Gennie fortgehen lassen? Eine Entscheidung schien unmöglich. Er drehte das Boot um und fuhr zur Küste zurück. Kleine Schaumkronen blitzten im Sonnenlicht. Nein, der Sommer sollte nie enden. Aber er würde enden.
»Du bist still«, sagte Gennie, als sie am Steg anlegten.
»Ich habe darüber nachgedacht …« Grant sprang an Land, zog die Leine fest und reichte Gennie die Hand, »dass ich mir diesen Ort ohne dich nicht mehr vorstellen kann.«
Gennie verlor beinahe das Gleichgewicht, als sie einen Schritt auf den Steg zumachte. »Er ist mir fast zur Heimat geworden.«
Grant ließ ihre Hand nicht los, als sie zum Leuchtturm gingen. »Erzähl mir von deiner Wohnung in New Orleans«, bat er abrupt.
»Sie liegt im französischen Teil. Ich kann den Jackson Square vom Balkon aus sehen. Dort ist immer Betrieb: Künstler, Studenten und Touristen. Es ist laut.« Gennie lachte, als sie davon sprach. »Mein Studio ist schalldicht, aber manchmal gehe ich auf die Straße, um unter Menschen zu sein und Musik zu hören.«
Sie kletterten den steilen Pfad zwischen den Klippen hinauf, wo es kein Geräusch gab außer dem der Möwen und der See.
»Manchmal gehe ich nachts spazieren, nur um der Musik zu lauschen, die aus den Türen und Fenstern dringt.« Sie atmete tief die salzige, tangige Luft ein. »Dort riecht es nach Whisky, dem Mississippi und scharfen Gewürzen.«
»Du hast das vermisst«, murmelte Grant.
»Ich bin schon lange weg.« Sie gingen auf den Leuchtturm zu. »Seit fast sieben Monaten schon. Alles erinnerte mich an Angela, das hielt ich nicht mehr aus.« Sie seufzte.
»Du wirst zurückfahren«, sagte Grant nüchtern, »und damit fertigwerden müssen.«
»Das bin ich schon.« Gennie wartete, während Grant die schwere Tür öffnete. »Damit fertigwerden – ja, doch Angela fehlt mir schrecklich. Mit New Orleans hängen tausend Erinnerungen zusammen. An solchen Orten hängt man. So wie du an Windy Point.« Sie lächelte zu Grant auf, als sie den Turm betraten.
»Ja.« Grant fühlte auf einmal Winterkälte in sich hochsteigen und zog Gennie eng an sich. »Hier ist alles, was ich brauche.«
Grant küsste Gennie wild und leidenschaftlich, als könnte er dadurch die Angst vertreiben. Ungeduldig riss er an ihrem T-Shirt, und als seine Hände ihren Weg fanden, verlor er alle Beherrschung. Gennie reagierte mit gleicher Heftigkeit, ihr war genauso zumute wie Grant.
»Komm hinauf«, flüsterte er mit rauer Stimme.
Wie Ertrinkende klammerten sie sich aneinander, versuchten festzuhalten, was ihnen zu entgleiten drohte. Nur nicht nachdenken müssen, sondern die Angst besiegen und einander fühlen. Neben Leidenschaft und Liebe war in dieser Nacht Verzweiflung ihr stummer Begleiter.
Die Sonne ging gerade erst auf, als Gennie erwachte. Trotz der rosigen, warmen Strahlen lag ein frostiger Schleier über dem Fenster. Sie war allein, das Laken neben ihr kalt. Gennie fühlte sich entspannt und zufrieden nach dieser langen, leidenschaftlichen Liebesnacht. Aber die Tatsache, dass Grant heute vor ihr das Bett verlassen hatte, beunruhigte sie.
Kopfschüttelnd dachte Gennie an seine unersättliche, unermüdliche Zärtlichkeit. Immer
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