Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
nicht, dass Gennie seine Arbeit verstand. Wenn das geschah, würde es so gut wie unmöglich sein, sie fortzuschieben und wegzuschicken.
    »Das ist mein Job«, sagte er kurz. »Ich habe zu tun, Gennie, ich bin in Zeitdruck.«
    »Das tut mir leid«, entschuldigte sie sich spontan. Dann erkannte sie den kühlen, verschlossenen Ausdruck in seinen Augen. Es kam ihr plötzlich in den Sinn, dass Grant diesen wichtigen Teil seines Lebens absichtlich vor ihr verborgen hatte. Das tat weh, und die anfängliche Freude über die Entdeckung verflog. Es tat sehr weh. »Warum hast du mir nie davon erzählt?«
    Obwohl Grant ihre Frage erwartet hatte, war ihm keine gute Antwort darauf eingefallen. Er zuckte mit den Schultern. »Dazu bestand kein Grund.«
    »Kein Grund!«, erwiderte Gennie verletzt und sah ihn an. »Ich möchte eher annehmen, dass du es nicht wolltest. Warum?«
    Wie könnte er ihr erklären, dass Verschwiegenheit für ihn ganz selbstverständlich geworden war? Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, alles für sich zu behalten. Jede Erklärung müsste ein Geständnis enthalten, eine Begründung – und davor schreckte er zurück. Nein, dazu war es auch schon zu spät. Grant hatte sich noch gerade rechtzeitig auf seine Zurückhaltung besonnen.
    »Weshalb sollte ich mit dir darüber sprechen?«, gab er die Frage zurück. »Es ist mein Beruf und hat mit dir absolut nichts zu tun.«
    Aus Gennies Gesicht war alle Farbe gewichen. Aber Grant hatte sich von ihr abgewandt, als er aufstand, deshalb entging es ihm.
    »Nichts mit mir zu tun …«, wiederholte Gennie fast unhörbar. »Deine Arbeit ist für dich doch wichtig, oder?«
    »Natürlich ist sie das.« Grants Ton war barsch. »Die Arbeit gehört zu mir.«
    »Ja, das glaube ich dir.« Gennie spürte, wie eisige Kälte ihren Körper gefühllos machte. »Ich habe dein Bett teilen dürfen, aber das hier nicht.«
    Grant fuhr herum. Der verletzte Ausdruck in Gennies Augen war kaum zu ertragen. »Was zum Teufel hat das eine mit dem anderen zu tun? Welchen Unterschied macht es, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene?«
    »Es wäre mir gleichgültig gewesen, wenn du nichts getan hättest. Aber du hast mich belogen!«
    »Ich habe dich niemals belogen!«, schrie Grant.
    »Vielleicht verstehe ich den feinen Unterschied zwischen Täuschung und Unehrlichkeit nicht.«
    »Hör mir zu: Meine Arbeit ist Privatsache. Und so will ich es auch.« Die Erklärung war unüberlegt, weil er ärgerlich und gereizt war. »Ich zeichne die Figuren, weil ich das gern tue, nicht weil ich es muss, nicht weil ich Anerkennung brauche. Anerkennung wäre das Letzte, was ich brauche.« Grants Augen waren fast schwarz vor Erregung. »Ich halte keine Vorlesungen, schreibe keine Aufsätze oder gebe Presseinterviews. Ich hasse es nämlich, wenn mir Leute zu nahekommen. Ich habe die Anonymität gewählt, genauso wie du das Rampenlicht wähltest. Ich fühle mich so am wohlsten. Das hier ist meine Kunst, das hier ist mein Leben. Und ich beabsichtige nicht, daran etwas zu ändern.«
    »Ich verstehe.« Gennie war steif vor Schmerz und zitterte vor innerer Kälte. Sie wusste, was Leid bedeutete, und sie litt. »Und mit mir darüber sprechen, mich Anteil nehmen lassen wäre gleichbedeutend gewesen mit Zurschaustellung. Die Wahrheit ist, dass du mir nicht vertraust. Du hast mir nicht zugetraut, dass ich dein kostbares Geheimnis für mich behalte oder dass ich deine kostbare Art zu leben respektiere.«
    »Tatsache ist, dass sich unsere Lebensweisen vollkommen voneinander unterscheiden.« Seine eigenen Worte zerrissen Grant das Herz. Er stieß Gennie von sich, das konnte er fühlen. »Man kann deine und meine Bedürfnisse nicht auf einen Nenner bringen. Das hat mit Vertrauen überhaupt nichts zu tun.«
    »Vertrauen ist die Grundlage für alles«, entgegnete Gennie. Grant sah sie so an, wie er es das erste Mal in der Sturmnacht getan hatte. Sie war ein Eindringling hier, eine Fremde, und er wollte sie loswerden. Nur hatte sie ihn damals nicht geliebt. »Du hättest das Wort ›Liebe‹ nicht aussprechen dürfen, Grant, nicht bevor du seine Bedeutung verstehst. Oder vielleicht hätten wir unsere Auffassungen darüber vorher abstimmen sollen. Für mich bedeutet Liebe so viel wie Vertrauen und Kompromiss und Notwendigkeit. Die Begriffe aber sagen dir gar nichts.«
    »Verdammt, erklär mir nicht, was ich denken soll. Kompromiss?«, entgegnete er, während er ruhelos im Zimmer hin und her lief. »Welche Art von Kompromiss hätten

Weitere Kostenlose Bücher