Bei Tag und Nacht
vertrauen, oder?«
»Natürlich. Ihr Mann war der beste Freund deines Vaters.«
»Dann bitte sie, uns zu helfen. Vielleicht könnte ich bei ihr wohnen. Erkläre ihr, warum das so wichtig ist. Teile ihr mit, ich reise als Witwe, die sich gerade erst aus der Zurückgezogenheit ihrer Trauer löst und jetzt gern den Glanz von Wien kennenIernen möchte. Damit erlange ich die nötige Freiheit, um mich den Männern zu nähern, die wir verdächtigen.« Sie griff nach der Hand ihrer Mutter. »Jetzt, wo tatsächlich ein Krieg droht, muß dieser Mann unbedingt aufgehalten werden. Wenn er geheime Informationen an die Franzosen weitergibt, wie Karl annahm, könnte er damit wirklich die Gefahr steigern, und auch Peters Leben aufs Spiel setzen. Karl erkannte die Zusammenhänge -und deswegen wurde er ermordet. Die Herzogin wird das einsehen. Hilf mir doch, Mama! Hilf mir bitte, um Karls willen und damit Peter verschont bleibt.«
Die Gräfin biß sich auf die Unterlippe. In den vergangenen Jahren hatte sich so viel geändert. Der erlesene Stil, in dem sie gelebt hatte, zuerst als Schauspielerin und dann als Gattin eines hochrangigen, blaublütigen Österreichers, war langsam dahingeschwunden. Es hatte ihr nichts ausgemacht, daß ihr Mann am Schluß nur noch über ein bescheidenes Einkommen verfügte. Es hatte gereicht, um die Erziehung ihrer drei geliebten Kinder zu sichern, den Jungen ein Offizierspatent zu kaufen und Elissa auf eine exklusive Mädchenschule zu schicken.
Geld rangierte stets an zweiter Stelle in ihrem Glück. Dann war Maximilian gestorben und die Jungen erfüllten den Traum ihres Vaters: sie wurden Offiziere der österreichischen Armee. Jetzt war ihr warmherziger, intelligenter ältester Sohn Karl tot, und vielleicht sein jüngerer Bruder Peter auch bedroht.
»Hilf mir, Mama«, flehte Elissa leise, und Octavia gab sich endlich geschlagen.
Möglicherweise hatte ihre Tochter recht. Etliche Dinge im Leben mußte man einfach tun, und manche davon schmerzten leider. Es galt, sein Schicksal zu erfüllen und seine Pflicht zu tun, selbst wenn das bedeutete, daß man dabei seine eigene Existenz gefährdete. Ohne Maximilian an ihrer Seite, der sie hätte bremsen können, würde ihre dickköpfige Tochter notfalls womöglich versuchen, die Reise auf eigene Faust zu unternehmen, und das würde alles noch verschlimmern. Und, wie Elissa ganz richtig vermutete - in ihrer Jugend hätte Ocatvia genau dasselbe getan.
»Hole Feder und Tinte«, sagte sie leise. »Und dann laß mich eine Weile allein. Ich brauche Zeit zum Nachdenken ... wenn ich der Gräfin schreiben soll.«
Elissa fuhr überrascht zusammen, dann umarmte sie ihre Mutter stürmisch. »Danke, Mama!« Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht, das erste wirkliche Lächeln, das Octavia dort entdeckte, seit dem Tode Karls. Von Anfang an hatte die jüngere Schwester ihren Bruder verehrt wie einen Helden, der er jetzt in der Tat geworden war.
»Es wird dir bestimmt nicht leid tun, Mama. Ich weiß, daß wir uns richtig verhalten.« Elissa drehte sich um und eilte davon, ihre kleinen Füße flogen die Treppe hinauf.
Octavia legte ihre Stickerei beiseite und starrte in die knisternden Flammen. Exakte Pläne waren erforderlich, wenn ihre Mission erfolgreich enden sollte. Sie dachte an ihre schöne, leidenschaftliche und trotzige Tochter; an ihren Sohn, der kaum erkaltet war in seinem Grab; an den seltsamen Brief mit seinen letzten Worten - hoffentlich würde ihre Mission gelingen ...
2
ÖSTERREICH MÄRZ 1809
Volle, milchweiße Brüste, eine unglaublich schlanke Taille und runde, weibliche Hüften. Colonel Adrian Kingsland, Baron Wolvermont, dachte an die Freuden, die ihn in der Villa dort unten erwarteten, und lächelte.
In seiner rotweißen Kavallerieuniform hatte er entschlossen die ganze Nacht auf dem Pferd verbracht, nur um ein Ziel zu erreichen: einen Abend voll angenehmer Ausschweifungen, eingebettet zwischen den cremeweißen Schenkeln von Lady Cecily Kainz. Cecily war die Frau eines reichen Vicomte und viel jünger als ihr uralter, tattriger Gatte. Sie schätzte lustvolle Beschäftigungen über die Maßen, vor allem seine Aufmerksamkeiten, die er ihr seit seiner Ankunft in diesem Land öfters erwiesen hatte.
Adrian erreichte die flache Erhebung über dem Erholungsort Baden, der am Fluß des Hügellandes einen halben Tagesritt von Wien entfernt lag, und ließ seinen großen, schwarzen Hengst anhalten. Das Pferd tänzelte kurz unter ihm, denn es spürte, daß sie sich
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