Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
verständlicherweise außer sich gewesen, als er und der Krankenwagen eintrafen
und nur noch den Tod des armen Harko hatten feststellen können.
Von den
anderen Passanten oder den Gästen des Eiscafés hatte niemand den geheimnisvollen
Sweatshirtträger bemerkt, aber Frau Schaaf beharrte darauf, jemanden gehört und
gesehen zu haben. »Vielleicht hat er sich auch im Schaufenster gespiegelt«, hatte
sie am Ende gemurmelt.
Endlich
schlug er die letzte beschriebene Seite seines Notizblocks auf und runzelte die
Stirn. Er konnte wieder mal seine eigene Sauklaue nicht lesen. Was hatte er da notiert?
›Caravane‹?
Kaktustopf? Nein, es fing mit c an, das war klar zu erkennen. Hörte es mit einem
r auf? War es ein Wort oder waren es zwei?
Welche Wörter
kannte er, die mit C anfingen? Computer, Crack (nein, zu kurz), Cally … Nein, das
alles passte nicht. Wer hatte das Wort denn zu ihm gesagt? Es stand kein Zeugenname
darüber. Endlich fiel es ihm wieder ein: Tina hatte ihn von der Wache aus angerufen.
Im Anrufspeicher des Festnetztelefons des Toten habe man die Nummer eines Callcenters
aus Saarlouis gefunden. »Und zwar desselben Callcenters, mit dem der vor vier Wochen
vom Baugerüst gestürzte Malermeister als Letztes telefoniert hat. Weißt du noch?«
Der Malermeister.
Ja, richtig. Das war eindeutig ein Unfall gewesen, es fanden sich keinerlei Hinweise
auf Fremdeinwirkung. Zwar konnte man sich nicht erklären, wieso der gute Mann, der
doch ein Leben lang gewohnt war, auf Gerüsten zu stehen, hinabgestürzt war, aber
es war nun einmal passiert. Der Rechtsmediziner hatte auch nichts Auffälliges entdeckt,
und so hatte Frank den Fall abgeschlossen. Dass Tina die Übereinstimmung dieser
Nummern erkannt hatte, grenzte für Frank an ein Wunder. Dank ihres fotografischen
Gedächtnisses verblüffte die Assistentin ihn immer wieder mit solchen Dingen. Jetzt
hatte sie aber längst Feierabend. Also setzte er sich an ihren Schreibtisch und
rief am Rechner die letzten Dateien auf, mit denen sie gearbeitet hatte. Tatsächlich
fand er die Telefonliste des verstorbenen Malermeisters und die von Harko Schaaf.
Tina hatte eine Nummer gelb hervorgehoben und einen Kommentar dazugeschrieben: »Callcenter
Mediaboutique, Großer Markt 54, Sls.«
Er schrieb
die Adresse auf seinen Block und die Telefonnummer darunter. Morgen würde er herausfinden,
zu welchem Schreibtisch diese Nummer gehörte. Vermutlich handelte es sich ohnehin
um Zufall, da es nicht einmal das letzte Telefonat von Harko Schaaf gewesen war;
trotzdem wollte er dieser Spur nachgehen, sei sie auch noch so vage. Aber jetzt
war es Zeit, zu schlafen. Er verließ das Büro und grüßte die Putzkolonne, die bereits
ihre Arbeit beendete.
Frank ging
zu Fuß nach Hause. Er liebte die Nachtluft und den besonderen Duft der Alte-Brauerei-Straße.
Die letzten Wochen waren extrem vollgestopft gewesen. Er hatte einen Serienmörder
festgenommen, einen Mordfall aufgeklärt, der sich als Unfall entpuppte, und zahlreiche
Diebstähle und Betrugsdelikte verfolgt. Er fühlte sich reif für die Insel. Es wurde
Zeit, dass sein Partner Herbert Groß aus der Reha zurückkam. Die ständig wechselnden
Kollegen, die ihn oftmals begleiteten – wenn es ihm nicht gelang, heimlich allein
die Ermittlungen zu führen –, gingen ihm auf den Nerv. Auch dieser neuerliche Mord
nervte ihn. Weil es vermutlich gar kein Mord war, selbst wenn es sowohl von ihm
eine Verbindung zum Callcenter geben sollte wie auch von dem Unfall des Malermeisters.
Das war wahrscheinlich reiner Zufall.
Gähnend
schloss er die Tür auf und bemühte sich, so leise wie möglich die alte Holztreppe
hinunterzugehen. Ellen hörte ihn trotzdem. Eigentlich sollte seine Frau doch froh
sein, dass sie ihn nicht mehr abzupassen brauchte, um ihm Vorwürfe zu machen und
jedes verdammte Mal die Grundsatzfrage zu stellen, wenn es wieder nach Mitternacht
wurde, bis er aufkreuzte. Seit er in den Keller gezogen war, war er jeglicher Verantwortung
ihr gegenüber enthoben, und sie konnte tun und lassen, was sie wollte.
Was sie
ja auch machte. Ein wenig verletzt hatte der Einzug von Dieter, ihrem Neuen, ihn
schon – vor allem, weil er nur drei Monate nach ihrer Trennung stattgefunden hatte.
Doch dann musste er neidlos zugestehen, dass der Dieter ein dufte Typ war und ihr
vermutlich auch zu dem Kind verhelfen würde, das sie sich so wünschte.
So hatten
sie alle das bekommen, was sie sich ersehnten. »Alles, was ein Mann wirklich braucht,
ist seine
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