Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
kippe den Schluck hinunter und atme
zischend ein. Das Zittern lässt nicht nach, sondern breitet sich in meinem ganzen
Körper aus. Wenigstens bin ich kein Alkoholix.
»Wir treffen
uns. Morgen Abend. Bring die Schuhe mit. Ich kenne einen Schuhdoktor in Riegelsberg,
der sie vielleicht retten kann. Und die Rechnung bezahlt die Versicherung des Bürohausbesitzers.
Wie kann man so bescheuert sein, neben dem Eingang ein Lüftungsgitter einzubauen?
Das wird wieder, Lu!«
»Gib mir
noch mal den Hörer.« Das ist Kat. »Lu, hör mir mal zu. Du räumst jetzt die Flasche
weg und gehst schlafen, verstanden?«
Ich nicke.
Wie eine Marionette stehe ich mit dem Hörer am Ohr auf und trage die Flasche und
das Glas zur Küchenzeile. »Gut. Dann sehen wir uns morgen. Ich bin müde, ich muss
jetzt schlafen.« Ich lege auf.
Ich falle
ins Bett, ohne mich ausgezogen oder meine Zähne geputzt zu haben.
Wie sagte
ein weiser Mann?
Morgen ist
wieder ein neuer Tag.
2
Routine
Wie können Eltern ihrem Sohn einen
solchen Namen mit ins Leben geben? Frank Kraus kratzte sich an der Nase und betrachtete
das Foto des Verunglückten.
Nun gut,
sein eigener Name zeugte nicht gerade von Originalität. Immer hatte es mindestens
einen weiteren Frank in seiner Klasse gegeben, seine gesamte Schulzeit hindurch,
und in der Fachoberschule war es auch nicht besser gewesen. Selbst ein zweiter Kriminalkommissar
mit dem gleichen Vornamen existierte in Saarlouis. Der bestand aber wenigstens auf
einer anderen Aussprache, sodass man immer wusste, wer gemeint war. Der andere Frank
sprach seinen Namen mit einem nasalierten ong anstatt des einfachen a aus, wie die
Franzosen. Oder vielmehr hatten seine Mitschüler in der Grundschule das getan, und
der verballhornte Name war ihm dann geblieben – vermutlich bis zu seinem Lebensende,
das hoffentlich noch in weiter Ferne lag. Frank freute sich immer mal wieder darüber,
dass nicht er der mit dem weichen, französischen ong war, sondern der mit dem aufrechten
a.
Da stand
er und dachte über Vornamen nach, anstatt sich die Aussagen der Zeugin noch mal
zu Gemüte zu führen. Aber es stimmte schon – Harko war ein bescheuerter Vorname.
Harko Schaaf
war gestern ums Leben gekommen. Frank hielt das Ganze für einen dummen Unfall, und
mit dieser Meinung stand er nicht allein da. Trotzdem. Harkos Frau glaubte an einen
Mord; somit musste Frank der Sache nachgehen. Er ließ das Foto des neben der Straße
liegenden Toten noch einmal auf sich wirken. Man musste sich echt dämlich anstellen,
um in einer verkehrsberuhigten Zone, in der die Autos nicht schneller als zehn Stundenkilometer
fahren durften, so unglücklich hinter einen rückwärts rollenden Wagen zu stürzen.
Die Fahrerin tat Frank leid. Sie war völlig unschuldig, ganz sicher. Sie hatte nichts,
aber auch gar nichts tun können, um das Unglück zu verhindern – höchstens ein kleineres
Auto fahren. Dann hätte der arme Harko vielleicht eine Überlebenschance gehabt.
Doch der mit Marmorfliesen voll beladene Lieferwagen ließ keinen Spielraum. Er rollte
über Harkos Hals. Wenigstens hatte Harko Schaaf nicht leiden müssen, sondern war
sofort tot.
Frank seufzte.
Er war müde, aber eine Sache wollte er noch überprüfen. Was war es doch gleich gewesen?
Er zog seinen Notizblock aus der hinteren Hosentasche und klappte ihn auf. Die Namen
der Zeugen, die er bereits befragt hatte. Die Frau des Verstorbenen hatte hysterisch
darauf bestanden, dass ganz bestimmt jemand ihren Mann vor den Wagen geschubst hätte.
Sie hätte in seiner Nähe gestanden und die Ware in einem Schaufenster bewundert,
da hätte es plötzlich geklatscht, schnelle Schritte hätten sich entfernt, im Herumwirbeln
hätte sie noch ein lila Sweatshirt an einem schlanken Menschen um die Ecke verschwinden
sehen und dann auch schon das Kreischen der Bremsen gehört, ein dumpfes Plopp-Plopp
und sofort ein hysterisches Schreien der Frauensperson, die im Wagen saß. Jetzt
erst hätte sie nach ihrem Mann gesucht, der doch ein paar Sekunden vorher noch neben
ihr gestanden hätte, und ihn schließlich entdeckt – besser gesagt, seinen Körper,
der Kopf war ja vom Lieferwagen verborgen gewesen. Sie hätte gleich gesehen, dass
es ihrem Harko nicht gut gehen konnte, so verdreht und schlaff wie sein Körper dort
auf der Seite lag.
Frank fand
sein Verhalten nicht gerade professionell, aber er konnte sich eines albernen Kicherns
nicht erwehren, als er ihre Aussage innerlich Revue passieren ließ. Luise Schaaf
war
Weitere Kostenlose Bücher