Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
stelle ich mir
vor, diese Narbe zu küssen, und spüre, wie Hitze in meine Wangen steigt. Seine Nase
ist gerade und nicht zu schmal, die Lippen sehen einfach nur appetitanregend aus.
Sie kommen immer näher, mitsamt dem ganzen Kerl, zu dem sie gehören. › Whatta man, whatta man, whatta man, whatta mighty good man.‹
»Sind Sie
Lucinda … ääh …?”, fragt mich dieser Gott mit seiner wohlklingenden Stimme, sieht
auf einem kleinen Notizblock in seiner Hand nach und hängt dann »Schober« an. Ist
er nicht süß? Mein Inneres schmilzt und schwemmt ihm mein Herz entgegen. Und ob
ich die bin, die du suchst.
»Ja.«
Er rückt
seine Brille zurecht und richtet diese Glutaugen auf mich. Ich schlucke. Er zögert,
wirkt irgendwie verwirrt. Ist er nicht süß? Ich kann mich gar nicht an ihm sattsehen.
Selbst Dürris Geruchsfahne stört mich nicht, obwohl ihre steigende Intensität mir
anzeigt, dass mein Chef mir auf die Pelle rückt. Ich lächle einfach nur selig diesen
Wahnsinnstypen an, und er strahlt zurück. Für einen Moment höre ich elysische Chöre
singen wie in den Uraltschmachtfetzen, die Kat und Susa sich immer reinziehen, und
alles um uns herum wird klein, leise und unsichtbar. Nur er und ich stehen noch
hier, von einem Leuchten umgeben. Ich nehme ihm zärtlich die Brille ab und nähere
mich seinem Gesicht. Er öffnet die Lippen …
Plopp, löst
sich die Seifenblase auf, als Dürri sein misstönendes Organ erklingen lässt. »Das
ist Kriminalkommissar Frank Kraus. Er untersucht den Tod von Harko Schaaf und möchte
Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Irre ich
mich oder zuckt auch Frank Kraus bei Dürris ungebetener Einmischung zusammen, gerade
so, als wache er aus einem erotischen Traum auf? Ich jedenfalls sprühe vor Geist,
als ich darauf in meiner tiefsten Tonlage antworte: »Ääh …«
Er lächelt.
Es wundert mich gar nicht, dass er eine Reihe ebenmäßiger, weißer Zähne enthüllt.
Dieser Mann ist einfach zu perfekt, um wahr zu sein.
»Ihr Chef
hat mir gesagt, dass Sie unter dieser Telefonnummer arbeiten.« Er hält mir seinen
kleinen Block hin, auf dem Hieroglyphen und mehrere Ziffern stehen, die ich nach
wenigen Sekunden als meine persönliche Callcenter-Nummer identifiziere.
»Ja, das
stimmt, aber immer nur in der ersten Schicht. Danach übernimmt jemand anders meinen
Platz.« Die Sauklaue auf Frank Kraus’ Block beeindruckt mich nachhaltig. Immerhin
kann ihm so niemand ins Handwerk pfuschen oder vor der Zeit Ermittlungsergebnisse
herausposaunen. »Können Sie lesen, was Sie da notiert haben?« Ich beiße mir auf
die Unterlippe. Wie doof kann man eigentlich sein?
Er lacht
auf. Herrlich tief und guttural, und auf seiner Wange zeichnet sich unter der Narbe
doch tatsächlich ein winziges Grübchen ab.
»Ehrlich
gesagt, nein. Nicht immer.« Er wendet sich Dürri zu, um ihn mit einzubeziehen, doch
beim Anblick dessen verkniffenen Mundes lässt er sein Lächeln wieder aus dem Gesicht
fallen und räuspert sich. »Wo können wir uns ungestört unterhalten?«
Er lässt
seinen Blick über das voll besetzte Büro schweifen, in dem alle so tun, als seien
sie hoch konzentriert bei der Arbeit. Dabei beobachten sie Frank und mich mit neidvollen
Argusaugen, sowohl Männlein als auch Weiblein. Ich zweifle nicht eine Sekunde daran.
Dürri streckt
den Rücken durch, die Hände dahinter verschränkt. »Sie können mein Büro benutzen.«
Seiner gerunzelten Stirn nach zu urteilen, verursacht dieses Angebot ihm körperliche
Schmerzen.
»Prima,
vielen Dank. Kommen Sie, Frau Schober.« Frank berührt mich für den Bruchteil einer
Sekunde am Rücken, um mich vorgehen zu lassen. Ob er das absichtlich macht? Seine
Berührung fühlt sich tausendmal besser an als jeder gierige Blick, den Dürri mir
jemals nachgeworfen hat. Ich empfinde Franks Größe als sehr angenehm. Er überragt
mich um einen halben Kopf, und seine Schultern schirmen mich gegen die Blicke der
anderen ab. Seine Nähe ruft ein Kribbeln in mir hervor. Ob ich mich auf das Gespräch
überhaupt konzentrieren kann?
Er macht
die Bürotür hinter uns zu, vor Dürri. Dann tut Frank etwas ganz und gar Unerhörtes:
Er schließt die Jalousien, die Dürri immer offen lässt, um uns überwachen zu können.
Fast meine ich, neidvolles Seufzen von draußen zu hören.
Dann ändert
sich plötzlich die Stimmung. Kommissar Kraus zieht wieder seinen kleinen Block hervor.
Ich begreife: Jetzt ist er ganz der Ermittler. Auch als solchen finde ich ihn noch
sehr süß.
»Frau
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