Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
übereinander. Es bereitet mir eine gewisse Genugtuung, auf Dürris Schreibtisch
zu thronen, ohne dass der davon weiß. Im Augenwinkel sehe ich eine Zigarillopackung
und rutsche noch ein Stückchen zur Seite, bis es unter meinem Po knistert.
Franks Blick
hat sich indessen verhakt, und zwar in der kleinen Plastikblüte an meinem Flipflop.
Von dort aus spüre ich ihn wie ein Blütenblatt über meine Zehen streichen. Ich beglückwünsche
mich dazu, gestern Morgen meine Füße von Hornhaut befreit und die Nägel für die
Manolos in einem kräftigen Orange lackiert zu haben, das aus den Peeptoes herausleuchtete.
Dieses Orange harmoniert mit den Flipflops und stellt zum Türkisblau meines T-Shirts
die unmittelbare Komplementärfarbe dar. Es sieht ganz so aus, als gefalle die Farbe
auf meinen Zehennägeln auch Frank, denn er betrachtet sie ziemlich eingehend, und
sein Gesicht ändert sich von dem des Kommissars in das des Traumtypen. Ein kleiner
Fußfetischist also. Innerlich jubiliere ich. Fußfetischisten lieben Schuhe! Und
ziehen sie gerne langsam und genüsslich – oder hektisch und leidenschaftlich – von
Füßen herunter.
Er hebt
den Kopf wieder. »Und Harko Schaaf?«, fragt er. Das Braun seiner Iris scheint mir
noch einen Tick dunkler als vorher.
»Der hat
mich beschimpft. Ich sei dumm wie ein schwarzes Schwein.«
»Und Sie?«
Was meint
er mit dieser Frage? Ob ich zurückkeife, wenn ich beleidigt werde? Ob ich Rache
schwöre? Erst jetzt begreife ich: Ich könnte eine Verdächtige sein! Schlagartig
verflüchtigt sich das Gefühl, eine Gemeinsamkeit mit Frank Kraus gefunden zu haben,
und mit kaltem Bedauern rutsche ich vom Bürotisch hinunter. Nervös verschränke ich
die Hände.
Mordverdächtig
war ich noch nie.
»Wir haben
Anweisung, immer freundlich zu bleiben. Natürlich können wir unsere Kunden nicht
beleidigen. Ich beende solche Gespräche zügig und versuche, sie zu vergessen.«
Es klopft
an der Tür. Dürri streckt seinen Kopf herein. »Brauchen Sie noch lange? Frau Schober
hat zu arbeiten …« Unzufriedener kleiner Scheißer!
Ein Glück,
dass ich nicht mehr auf seinem Tisch sitze.
Frank Kraus
dreht sich um. »Nein, wir sind gleich fertig. Nur noch eine Minute, bitte.«
Er wartet,
bis Dürri die Tür wieder geschlossen hat, dann zieht er ein Portemonnaie aus seiner
Gesäßtasche und daraus eine Visitenkarte, die er mir überreicht. »Wenn Ihnen noch
etwas einfällt, melden Sie sich bitte.«
An den Kuppen
von Daumen- und Zeigefinger, mit denen ich die Karte halte, spüre ich noch seine
Körperwärme. Ich betrachte das neutral gehaltene Kärtchen.
Frank Kraus
Kriminalkommissar
Polizeiinspektion
Alte-Brauerei-Straße
3
66740 Saarlouis
Unter der Adresse stehen seine dienstliche
Telefonnummer und eine Handynummer. Ob er unter der zweiten jederzeit zu erreichen
ist?
»Danke«,
murmle ich und spiele für eine Sekunde mit dem Gedanken, die Karte in meinen BH
zu schieben, doch dann behalte ich sie einfach in der Hand, um sie nachher in meiner
Geldbörse zu verstauen.
»Auf Wiedersehen,
Frau Schober.« Er streckt mir die Hand hin, die ich sehr gerne ergreife. Sie fühlt
sich leicht schwielig an, trocken und warm. Und groß. Eine echte Männerhand eben.
»Lucy«,
murmle ich.
»Bitte?«
Seine Hand umfasst die meine noch immer. Ich ziehe sie natürlich nicht zurück. Soeben
beginnen unsere Hautzellen, Informationen auszutauschen. Sind wir kompatibel, empfinden
wir uns gegenseitig als angenehm, können wir gemeinsam gesunde Kinder zeugen?
Meine Güte,
jetzt reiß dich aber zusammen! »Sie sollen mich Lucy nennen.«
Er lacht,
und dann zieht er bedauerlicherweise seine Hand zurück. »Danke für Ihre Hilfe.«
Schade.
»Gerne.
Auf Wiedersehen.« ›Frank‹ würde ich am liebsten noch hinzufügen, aber ich traue
mich nicht. Er öffnet die Tür und lässt mich vor. Nachdem ich zurück an meinem Platz
bin, geht er – nur für mich, scheint mir – langsam und geschmeidig durch den Mittelgang
bis zum Fahrstuhl. › Whatta man, whatta man, whatta
man, whatta mighty good man.‹
Plopp, steht
Dürri wieder neben mir. »Was haben Sie dem Kommissar erzählt?«
»Nichts.
Er fragte nur nach den Telefonaten mit den beiden Toten.«
»Und was
haben Sie gesagt?«
»Nur dass
sie sehr unfreundlich waren. Die Toten.«
»Mehr nicht?«
»Nein, mehr
nicht. Was denn auch?«
»Schon gut.
Dann arbeiten Sie jetzt mal weiter. Ihre Pause dürfen Sie trotzdem noch machen.«
Trotzdem
noch? Zählt mein
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