Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
Schock
erlitten.«
Ein Handwerker
und ein wichtig wirkender Typ machen sich an der Rolltreppe zu schaffen. Letzterer
ist bestimmt der Filialleiter.
»Polizei,
bitte lassen Sie uns durch.« Ich drehe den Kopf in die Richtung, aus der die männliche
Stimme kommt. Unter den Gaffern erkenne ich plötzlich Maurice. Er sieht schockiert
aus. Der Arme – so etwas sollte er nicht sehen. Er hat eine zarte Seele. Soweit
ich weiß, hat er eine schwere Kindheit gehabt. Seine leichte geistige Behinderung
verdankt er seiner alkoholkranken Mutter. Skurril, welche Gedanken mir in einem
Moment wie diesem durch den Kopf gehen. Ich betrachte die beiden Uniformierten.
Schade, dass Frank Kraus nicht dabei ist.
Der Arzt
richtet sich an die Polizisten: »Wo bleibt denn der Krankenwagen? Die Dame hat schon
vor zehn Minuten einen Krankenwagen angefordert.«
Einer der
Polizisten wendet sich mir zu: »Ach, Sie waren das. Unsere Notrufleitzentrale hat
keinen brauchbaren Notruf von Ihnen bekommen. Wir wussten nicht, was los ist. Sie
müssen immer die W-Fragen beantworten, wenn Sie einen Notruf absetzen wollen. Wo,
was, wie viele Betroffene, welche Art Verletzung? Und dann sollten Sie weitere Fragen
abwarten.« Er schüttelt streng den Kopf. Der Verletzte scheint ihn nicht großartig
zu interessieren. Sein Kollege ruft über Funk einen Krankenwagen herbei. Dann wendet
er sich wieder dem Unfallopfer zu und fragt nach dessen Namen, während der Kollege,
der mich vor allen Anwesenden so schulmeisterlich getadelt hat, mich das Gleiche
fragt.
»Lucinda
Schober«, sage ich und stutze, weil ich den Namen des Dürren höre. In mir zieht
sich alles zusammen.
»Rupert
Kunze.«
Natürlich!
Jetzt erkenne ich auch die Stimme. Sicher war sie mir vorher schon aufgefallen,
aber nur unbewusst. Kunze ist der nette Mensch, der mich gestern als ›Stück Scheiße‹
titulierte. Meine Knie sacken weg, ich muss mich setzen.
»Polizei,
bitte lassen Sie mich durch. Gehen Sie nach Hause, hier gibt es nichts mehr zu sehen.«
Die Stimme
rieselt durch mich durch. Frank Kraus bahnt sich einen Weg durch die Schaulustigen
und versucht, sie dazu zu bewegen, sich zu zerstreuen. Die Ersten ziehen tatsächlich
schulterzuckend von dannen. Maurice entdecke ich nirgends mehr.
Ich höre
auf zu zittern. Wie wohltuend sein Anblick auf mich wirkt!
»Frau Schober,
ich habe bei Ihrem Notruf Ihre Stimme erkannt.« Er hält zielstrebig auf mich zu.
Die Uniformierten grinsen dämlich bei seinen Worten. Anscheinend bemerkt er es nicht.
»Ist alles in Ordnung?« Sein Tonfall klingt ehrlich besorgt.
Und ob alles
in Ordnung ist. Jetzt wieder.
Der Kommissar
geht zu Rupert Kunze, um ihn zu befragen.
»Hat der
nichts Besseres zu tun?«, murmelt einer der Streifenpolizisten seinem Kollegen zu.
»Wenn er
auf der Wache ist, hört er immer den Notruf mit. Ist so ein Spleen von ihm.« Der
Zweite deutet neben seinem Kopf eine Spirale an. Mein Herz klopft heftig vor Empörung,
trotzdem lausche ich gierig ihrem Austausch über Frank Kraus. Jeder Infosplitter
interessiert mich.
»Das hier
ist doch ein blöder Unfall. Wozu die Kriminalpolizei?«, hakt sein Kollege nach.
Endlich
hören wir leise das Martinshorn, und kurz darauf stürmen zwei Notärzte herein. Gegen
Rupert Kunzes Willen, den er lautstark und mit energischem Kopfschütteln kundtut,
nehmen sie ihn mit. Dürfen die das? Ein Glück, dass sie mich vergessen haben. Ich
habe eh keinen Schock mehr, den hat der sexy Kommissar vertrieben. Endlich verziehen
sich auch die restlichen Gaffer, die beiden Streifenhörnchen stellen fest, dass
sie noch anderes zu tun haben, und verschwinden, nachdem sie meine komplette Adresse
notiert haben.
Frank Kraus
bleibt zurück. Seine Nähe macht mich nervös. Kurz huscht sein Blick zu meinen Flipflops,
dann wieder hoch. Er zögert.
»Dummer
Zufall.« Ich kichere einfältig. Mein Gott!
»Was meinen
Sie?« Er nimmt meinen Ellbogen und führt mich zum Ausgang. »Lassen Sie uns nach
draußen gehen.« Von seiner Hand aus pulsiert es wohlig in meinen Körper.
Wir verlassen
das Kaufhaus durch den Haupteingang. Ach, herrlich! So riecht nur Saarlouis im Sommer.
Frank Kraus sieht sich suchend um. Dann zeigt er auf das kleine Kaffeehaus ›Plaisanterie‹
gegenüber. Ein runder Glastisch mit Bistrostühlchen ist frei. Sollte er mich etwa
fragen, ob wir einen Kaffee trinken? Wirklich und wahrhaftig? Er lächelt, mir wird
ganz warm.
»Trinken
wir einen Kaffee?«
Er hat es
getan!
Einige Minuten
später sitzen
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