Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
wir entspannt vor unseren Cappuccinos. Mir gefällt der Gedanke, man
könnte uns für ein Paar halten. Ich lasse meinen Blick schweifen, beobachte die
Passanten, die im Kaufhaus und in den kleineren Geschäften ihre Besorgungen erledigen,
betrachte aber immer wieder auch das Gesicht von Frank Kraus, der sich Notizen in
seinem unvermeidlichen kleinen Notizblock macht. Mein Gott, ist der Mann schön,
und mein Gott, was hat er für eine Sauklaue!
Als ich
wieder mal zum Klopfer gucke, sehe ich eine zierliche Gestalt durch die Schiebetür
huschen. Ihre tiefschwarzen Haare sind kurz geschnitten und toupiert, sodass sie
wie die Stacheln eines Kaktus vom Kopf abstehen, und sie trägt Springerstiefel unter
Baggyjeans. Das ist doch meine Rebellenschwester! Sie ist bereits verschwunden,
bevor ich auch nur daran denken kann, aufzustehen, und da richtet endlich Frank
das Wort an mich. Ich vergesse Kat.
»’tschuldige,
ich musste noch ein paar Dinge notieren.«
Hat er mich
geduzt? Hat er mich tatsächlich geduzt? Mein Herz dehnt sich aus. Ich nippe an meinem
Kaffee und lächle ihn selig an. Er fährt sich grinsend mit dem Finger über die Oberlippe,
und hastig lecke ich den Milchschaum ab, den der Cappuccino auf meiner Haut hinterlassen
hat.
»Du …«,
er räuspert sich und errötet ein winziges bisschen. Ist er nicht süß? »Sie sagten
vorhin etwas von einem dummen Zufall. Was meinten Sie damit?«
Mein Herz
zieht sich wieder zusammen. »Ach so …« Uff, schlagartig erinnere ich mich daran,
was ich vorhin von mir gegeben habe. Und auf einmal bin ich mir gar nicht sicher,
ob ich dem Kommissar das alles sagen soll.
»Ja?«, hakt
er nach.
Mist!
»Ja, ääh,
ich meinte damit, dass der Mann auf der Rolltreppe auch einer der Horrorkunden ist,
mit denen ich vor Kurzem telefoniert habe.« Das Gefühl, mein eigenes Grab zu schaufeln,
kann mich nicht davon abhalten, weiterzusprechen. »Rupert Kunze hat mich gestern
als ›verfluchtes Stück Scheiße‹ bezeichnet.«
Frank Kraus
schweigt.
4
Alles nur Zufall?
Sein Blick verfing sich in den Flipflops
von Lucinda Schober, und zum zweiten Mal an diesem Tag erklang ein sommerlich-leichter
Refrain in seinem Kopf: ›What I’m feelin’ – it’s never been so easy – When I’m dreamin’
– summer dreamin’ when you’re with me …‹
Was hatte
sie gerade gesagt? Sein Hirn weigerte sich, zu akzeptieren, welche Schlüsse ihre
Aussage nahelegte. ›Rupert Kunze hat mich gestern als »verfluchtes Stück Scheiße«
bezeichnet.‹
Von den
Flipflops lenkte er seinen Blick auf den kleinen Block und erkannte jetzt, dass
er um den Namen in der Mitte des Blattes – es sollte Lucy heißen – Ranken malte.
Verlegen schlug er rasch die nächste, unbeschriebene Seite auf. Lucy hatte seine
Kritzeleien offenbar nicht bemerkt; sie starrte ihn an, die Unterlippe eingezogen.
Ach, wie gerne würde er diese Lippen mit einem Kuss entspannen.
Frank, sie
ist eine Tatverdächtige, ermahnte er sich selbst.
Er räusperte
sich. »Als ›Stück Scheiße‹ hat er Sie bezeichnet?« Das unpersönliche Sie half ihm
kurzzeitig, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Sie nickte. Glitzerten in ihren
Augenwinkeln Tränen?
»Ja, gestern
habe ich mit ihm telefoniert. Er wurde zudringlich, sodass ich das Gespräch rasch
beenden wollte, aber da wurde er total ausfallend.« Sie verzog das Gesicht zu einer
missbilligenden Grimasse. »Das hat mich verletzt und ich musste weinen. Aber ich
bin keine Heulsuse«, beeilte sie sich zu versichern. Dann lehnte sie sich zurück
und runzelte die Stirn. Sie schien in Gedanken versunken, als führe sie ein inneres
Zwiegespräch und sei mit sich selbst unzufrieden.
Faszinierend!
Lucy – Lucinda Schober – war in sich so widersprüchlich. Einerseits hatte sie diesen
wenig anspruchsvollen und undankbaren Job im Callcenter, andererseits redete sie
nicht wie eine ungebildete Frau. Sie trug relativ billige Kleidung, bewegte sich
darin aber so selbstverständlich und natürlich, dass man denken konnte, sie trage
Designermode. Und dann diese zierlichen Füßchen mit den lackierten Nägeln. Schon
wieder wanderte sein Blick zu ihren Zehen, und er konnte nur mit Mühe die Vorstellung
vertreiben, wie sie sich in seinem Mund anfühlen würden.
»Bin ich
jetzt verdächtig?«
»Hmm … Es
gibt eine Verbindung von allen dreien zu Ihnen, das lässt sich nicht leugnen.«
»Sie meinen
den Müller, den Schaaf und den Kunze … Aber das waren doch alles Unfälle …« Sie
beugte
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