Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
zusammenkehren, die
ich vorhin habe hinunterrieseln lassen.
Endlich
erkennt Lena, die das Glück hat, ganz vorne zu stehen, mehr: »Sie tragen einen auf
einer Bahre zum Krankenwagen. Ein Mann, jung, geschäftsmäßig gekleidet.«
»Was ist
mit ihm?«
»Oh je,
der sieht übel aus. Wart mal … da is alles voller Blut. Seine Haare … Iih, er hat
eine Blutspur am Mund … Ich glaube, der is tot!«
Mir wird
schon wieder ganz flau im Magen, ich renne zur Toilette und übergebe mich. Dürris
Zigarillos sind echt das Letzte und nicht gerade eine gute Grundlage für solche
Gräuelszenarien. Als ich wieder ins Büro komme, hat Dürri alle auf ihre Plätze zurückgescheucht.
Schließlich haben wir noch zu arbeiten. Aber das Getuschel kann er nicht unterbinden.
»Is er überfahren
worden?«
»Doch nicht
zwischen der Kirche und unserem Gebäude!«
»Is er niedergeschlagen
worden?«
»Die Polizei
hat niemanden abgeführt, der war anscheinend alleine.«
»Also Selbstmord.
Wohl vom Dach gesprungen.«
»Ja, sieht
ganz danach aus. Schrecklich. Warum muss der sich ausgerechnet von unserem Dach
stürzen? Ich werde jetzt jeden Morgen daran denken, wenn ich ins Büro komme.«
»Ich versteh
gar nit, wie der das machen konnte. Da oben is doch e Geländer angebracht.«
»Vielleicht
is er drüber geklettert.«
In meinem
Kopf setzt sich eine Gedankenmühle in Gang. Hatte ich das kleine Türchen des Geländers
offenstehen lassen? Zur Abwechslung suche ich mal wieder die Toilette auf. Für heute
werde ich keinen einzigen Anruf mehr auf die Reihe kriegen, fürchte ich. Während
ich auf der Klobrille sitze und die Ellbogen auf den Oberschenkeln abstütze, rufe
ich mir in Erinnerung, wie ich noch vor einer guten Stunde dort oben die Beine baumeln
ließ. Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Ich dachte noch darüber nach, wie
das für jemanden sein muss, der nicht schwindelfrei ist.
Dann erst
fällt mir der junge Mann ein, der auf das Dach kam, als ich es verließ. Ist er etwa
der Tote? Ich versuche, mich an sein Gesicht zu erinnern. Wirkte er verzweifelt?
Doch ich war in dem Moment so sehr bemüht, trocken zur Toilette zu gelangen, dass
ich nicht weiter auf ihn achtete.
Ich schleiche
zurück an meinen Platz. Inzwischen gehen die Mutmaßungen dahin, dass der junge Mann
vermutlich in unserem Gebäude arbeitet, vielleicht bei der Versicherung oder der
Bank. Mein entleerter Magen hat eigenartige Auswirkungen auf mein gesamtes Wohlbefinden.
Mich schwindelt regelrecht. Wenigstens lassen auch alle Kollegen die Telefone ruhen.
Selbst Dürri steht in seinem Büro vor dem Schreibtisch, wie ich durch die offene
Tür sehen kann, und reibt sich das Kinn. Er wirkt verwirrt. Sein Blick ruht auf
der leeren Stelle, an der er seine Zigarillos abzulegen pflegt.
Ich sehe
auf die Uhr. Gott sei Dank, ich kann nach Hause! Auch meine Kollegen verlassen das
Büro, außergewöhnlich schweigsam dieses Mal. Wie die anderen schlage auch ich den
Weg Richtung Kirche ein. Dort steht schon ein kleines Grüppchen Schaulustiger an
der Absperrung, die die Polizei gezogen hat. Ich muss an Szenen aus den amerikanischen
CSI-Serien denken. ›Crime Scene Investigation‹. Schon von Weitem entdecke ich ihn.
Wie Monk steht er da und betrachtet die Verbundsteine. Weiß gekleidete Gestalten
sichern die Spuren. Ich schlucke, als ich die riesige, dunkelrote Pfütze sehe. Darin
dürften ein paar Reste von Dürris Rillos kleben …
Ich bleibe
wie erstarrt stehen und beobachte, wie einer der Weißmänner Krümel eintütet. Frank
Kraus nimmt das Tütchen entgegen, der Weißgekleidete scheint ihm dazu ein paar Erklärungen
zu liefern. Frank nickt, sein Blick geht kurz zum Himmel. Mir scheint, dass er sich
fragt, woran ihn diese braunen Fitzelchen erinnern – und dass er relativ schnell
eine Antwort darauf findet.
Mist, Lucy,
wo hast du dich da wieder hineingeritten?
Alles Quatsch,
sage ich mir. Was haben Dürris Rillos mit dem Selbstmord dieses Menschen zu tun?
»Mark«,
höre ich da eine Stimme, die flüsternd zu jemandem spricht. »Mark Friskeel war das.«
Mich durchläuft
es heiß und kalt. Dann nur noch kalt. Mark Friskeel? Den Namen gibt es sicher nicht
so oft in Saarlouis. Und ganz sicher nicht gleich zwei Mal in einem Gebäude. Mir
sacken die Knie weg.
Anscheinend
verursache ich mit meinem Ohnmachtsanfall reichlich Aufsehen, denn als ich zu mir
komme, bahnt sich jemand einen Weg zu mir durch die Gaffer. Ich setze mich auf.
Die gute Lena beugt sich zu mir und
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