Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
er sich. Anscheinend muss er noch ein paar anderen Glücklichen verklickern,
dass sie am Wochenende antanzen dürfen.
Ich ziehe
das Headset herunter, greife mir meine Handtasche und stolpere tränenblind durch
den Gang Richtung Toilette. Die Tür zu Dürris Glaskasten steht offen. Interessanterweise
hat er die Jalousien, die Kommissar Frank Kraus letzte Woche heruntergelassen hat,
nicht wieder hochgezogen. Von seinem Schreibtisch blinkt mir etwas entgegen. Ein
Lichtstrahl wird von der neuen Packung reflektiert, die er anscheinend immer am
gleichen Ort abzulegen pflegt. Das ist die Gelegenheit, ihm eins auszuwischen. Diese
Zigarillos wird er vermissen! Ohne lange nachzudenken, husche ich in sein Büro,
schnappe mir die Schachtel und lasse sie in der Hosentasche verschwinden, bevor
ich zur Toilette gehe.
Dort brauche
ich ein paar Minuten, bis ich die Tränenspuren beseitigt habe, und während ich vor
dem Spiegel stehe und neue Wimperntusche auftrage, kommt mir ein Gedanke. Ich werde
mir ganz heimlich eine kleine Wellness-Auszeit gönnen. Neben der Toilette gelangt
man durch eine Tür ins Treppenhaus. Ich kann also ganz unauffällig auf das Flachdach
verschwinden.
Ich trete
durch die weiße Metalltür nach draußen. Ein herrlicher Sommertag umfängt mich. Niemand
hält sich hier oben auf. Es ist das erste Mal, dass ich auf das Dach steige. Warum
habe ich das nicht früher schon getan?
Langsam
gehe ich über den Kies. Das Dach ist mit einem niedrigen Metallgeländer eingefasst,
das mich nicht ganz bis zum Rand vortreten lässt. Mit einer Drehung um die eigene
Achse lasse ich meinen Blick über die Dächer von Saarlouis schweifen. Ich meine,
einen sachten Hauch von der blühenden Linde vor den Kasematten aufzufangen. Dann
entdecke ich ein Türchen, das das Geländer unterbricht, und beschließe, bis zum
äußersten Rand vorzugehen. Ich bin völlig schwindelfrei und liebe es, meine Beine
frei in der Luft baumeln zu lassen. Also klettere ich vorsichtig auf die Brüstung,
die ein wenig tiefer liegt als das eigentliche Dach, und setze mich auf den warmen
Beton. In meiner Hosentasche knistert etwas. Richtig, Dürris Rillos. Eigentlich
bin ich keine Raucherin, aber es kribbelt in meiner Brust, wenn ich mir sein Gesicht
ausmale, würde er sehen, was ich hier habe und was ich damit mache … Irgendwo in
den Tiefen meiner Handtasche müsste ich noch ein Feuerzeug haben. Diese Tasche besitze
ich seit mindestens zehn Jahren. Sie ist riesig, abgewetzt, kultig. Und darin findet
sich alles Mögliche, womit man rechnen kann oder auch nicht. Ich wühle darin herum
und fördere eine Kondompackung zutage (abgelaufen), zwei Schokoriegel (abgelaufen),
eine leere Plastikflasche, einen Minizerstäuber von ›Coco Mademoiselle‹ (wie lange
ich den schon suche!), mein Schminktäschchen, mehrere Tampons und Binden, mein uraltes
Schulledermäppchen, haufenweise Krümel von diversen Broten und Brötchen und einen
angenagten Kauknochen. Der gehörte dem Hund meines letzten Freundes und hat demnach
ebenfalls jegliche Gebrauchsdauer überschritten. Entnervt will ich aufgeben. Wohin
habe ich letztes Mal das Feuerzeug gesteckt, das ich immer bei mir trage, seit meine
Oma gestorben ist? Damit ich auf dem Friedhof ein Kerzlein anzünden kann. Da fällt
es mir ein: Im hinteren Innenfach, in dem ich auch meine Geldbörse aufbewahre, habe
ich noch nicht nachgesehen.
Ja! Da ist
es. Genüsslich ziehe ich einen Zigarillo aus der Packung. Wie herum steckt man die
Dinger in den Mund? Beißt man die Spitze ab? Keine Ahnung. Ich beschließe, das Teil,
so wie es ist, anzuzünden. Klemme mir also das nach getrockneten Bitterkräutern
riechende, bräunliche Stänglein zwischen die Lippen und halte die Flamme daran,
dabei atme ich ein.
Igitt! Ich
huste. Aber irgendwas muss doch an den Dingern interessant sein. Mich ekelt der
bittere, trockene Rauch in meiner Mundhöhle, aber ich will versuchen, richtig zu
rauchen. Also mache ich weiter. Irgendwie klappt das nicht, doch so schnell gebe
ich nicht auf. Vermutlich paffe ich nur. Wie zieht man denn auf Lunge, verdammt?
Ich schließe meine Lippen fest um das Teil und atme konzentriert ein.
Würg, ja,
jetzt habe ich es wohl geschafft. Ich huste und röchle. Kann man sich an so was
gewöhnen? Ich starre den glimmenden Stängel an und mir wird klar, dass dieser Geruch,
der da in weißen Fähnchen emporkräuselt, genau Dürris Ausdünstung entspricht, nur
Muff und Kaffee fehlen noch.
Mir wird
schlecht. Was hat mich
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