Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
war. Kaum zu fassen, dass sie auch mit
dem neuesten Opfer telefonischen Kontakt gehabt hatte. Er seufzte. Sinnvollerweise
sollte er ihre Arbeitskollegen befragen, ob sie zu Wutausbrüchen neigte. Ihre Familie
hatte ja ein relativ widersprüchliches Bild von ihr gezeichnet. Die Eltern hielten
sich verständlicherweise zurück, während die beiden Juristen jedes ihrer Wörter
auf die Goldwaage legten und letzten Endes keine brauchbaren Aussagen machten. Lediglich
die jüngste Schwester nahm kein Blatt vor den Mund und ließ durch ihr unbekümmertes
Reden genau die Lucy vor seinem inneren Auge erstehen, die er kennengelernt hatte.
Allerdings legte Katharina Schober den Verdacht nicht nahe, dass Lucy sich tatsächlich
so weit in ihre Wut hineinsteigern könnte, um Morde zu begehen. Sie selbst hingegen
schien einen geradezu flammenden Hass auf Männer, aber auch Frauen, zu haben, die
ihre Schwester in schöner Regelmäßigkeit am Telefon beleidigten. Katharina war schon
eine Marke für sich. Jedoch zweifelte Frank daran, dass sie ihrerseits ein ausreichend
starkes Motiv für die Morde hatte. Brauchbare Alibis hatte sie aber auch nicht liefern
können. Schon sehr eigenartig, die ganze Sache.
Frank lief
zur Polizeiwache, um sich mit einem Kit für Fingerabdrücke auszustatten. Er musste
Lucy überprüfen, daran führte kein Weg vorbei. Von seinem Büro aus rief er im Labor
an.
»Habt ihr
schon die Zigarillomarke herausgefunden?« Während er dem Mann zuhörte, kontrollierte
er den Rechner, an dem noch immer das Programm zur Erkennung von Fingerabdrücken
lief. Keine Treffer bisher.
Er notierte
die Marke der Rillos auf seinem Block, war sich sicher, dass es der Name war, den
er auf Dürrbiers Schreibtisch gelesen hatte.
Dann verließ
er das Gebäude und stieg in seinen Dienstwagen, um nach Saarlouis-Beaumarais zu
fahren. Er nahm den Umweg über die Ludwigstraße und bemühte sich, so leise in seine
Wohnung zu gelangen, dass Ellen und der Dieter ihn nicht hören konnten. Dort legte
er seine Waffe ab, sprang rasch unter die Dusche und zog anschließend Jeans und
T-Shirt an. Den Dreitagebart rasierte er ab. Er musste über sich selbst grinsen.
In den letzten Monaten war ihm Rasieren nicht mehr wichtig gewesen, er hatte es
bei ein- bis zweimal pro Woche bewenden lassen.
Doch die
Frau, die er jetzt aufsuchen wollte, beschäftigte ihn fast rund um die Uhr … Auch
so etwas hatte er in den letzten Monaten, sogar Jahren, nicht mehr erlebt. Immer
geisterten nur Leichen und Verdächtige durch seinen Kopf. Wobei Lucy ja auch eine
Verdächtige war … Aber nicht so wirklich.
Sein Herzschlag
beschleunigte sich einen Takt, als er kurz darauf an dem Haus, in dem sie wohnte,
nach der Klingel mit ihrem Namen suchte.
Die Gegensprechanlage
knackte. »Ja, bitte?« Hörte er einen aufgeregten Unterton heraus?
»Hier ist
Frank Kraus.«
Es brummte,
er drückte die Tür auf und stieg die Stufen in den zweiten Stock hinauf. Zu beiden
Seiten gingen Türen ab, eine davon war angelehnt. Er klopfte an, dann streckte er
den Kopf in das Zimmer. »Frau Schober?«
Sein Blick
fiel in einen großzügigen Raum mit einem quadratischen Esstisch und vier Stühlen
auf der einen Seite und zwei abgewetzten Sesseln und einer ebensolchen Zweisitzercouch
auf der anderen Seite, die um einen rustikalen, niedrigen Holztisch gruppiert waren.
Gegenüber dem Tisch stand ein altmodischer Röhrenfernseher auf einem Schränkchen.
Über die Hälfte des Zimmers reichte eine niedrige Holzdecke; eine Raumspartreppe
wand sich hinauf, vermutlich zu Lucys Schlafzimmer. Aus einer breiten Nische trat
soeben Lucy heraus. Dort, in der winzigen Kochzeile, hatte sie zwei Gläser und eine
Flasche Rotwein hervorgeholt. Mit einer einladenden Geste winkte sie ihn in den
Raum, der gemütlich, aber nicht überaufgeräumt wirkte. Auf dem Couchtisch stapelten
sich Zeitschriften und ein paar Bücher, das Sideboard stand voller Gilde-Clowns,
die ein wenig angestaubt wirkten. Über einem der Stühle hingen ein paar Kleidungsstücke,
auf der einen Ecke des Tisches lag ein Haufen Prospekte und Briefe.
»Trinken
Sie ein Glas mit mir?« Lucy stellte Gläser und Flasche auf dem Esstisch ab, dann
lächelte sie ihn an. Ja, er mochte sie sehr, wie sie da vor ihm stand, die weichen
Locken mit einem Band aus der Stirn gehalten, die Daumen seitlich in die Taschen
ihrer 7/8-Jeans gehakt, der Hitze wegen in ein schlichtes Top gekleidet. Ohne BH.
Und barfuß. Kaum vorstellbar, dass es Menschen gab, die
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