Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
unendlich müde. Sein Kopf weigerte sich, weiter über diese
Todesfälle nachzudenken. Vielleicht sollte er einfach nach Hause gehen und morgen
die übrigen Verhöre führen. Er hatte ja bekommen, was er wollte – Lucinda Schobers
Fingerabdrücke. Er nahm noch einen Schluck Wein. Lucy saß im Sessel, einen Fuß unter
den Po geschoben, und schwenkte ihr Glas, in das Kreisen der dunkelroten Flüssigkeit
vertieft. Ihr Knie war seinem ganz nahe. Er meinte, ihre Wärme zu spüren. Unversehens
schoss sämtliches Blut in die Stelle seines Körpers, mit der am wenigsten denken
konnte. Er musste sehen, dass er hier wegkam. Er wartete ein paar Minuten, in denen
er sich in den Anblick der Gilde-Clowns auf dem Sideboard vertiefte und darum kämpfte,
klar zu werden. Dann stand er auf. »Ich gehe jetzt, Lucy. Bitte halten Sie sich
erreichbar.«
Sie begleitete
ihn zur Tür. Er zögerte einen Moment. Sie schien ihn mit ihrem Blick zu fesseln.
Dann hob sie einen Arm und fuhr mit der Fingerspitze über seine Narbe. Wie ertappt
zuckte sie zurück und errötete. Einfach unwiderstehlich.
»Ääh … ja,
gute Nacht dann.«
Er beugte
sich vor, um sie auf die Wange zu küssen, doch gerade noch rechtzeitig hielt er
inne. Was tat er dann da? Idiot!, schalt er sich, und bedauerte zugleich, dass er
seinem Impuls nicht nachgab.
»Gute Nacht«,
sagte er und verließ fluchtartig die Wohnung.
Der Schlüssel fiel zur Erde, als
er seine Wohnungstür aufschließen wollte. Fluchend bückte er sich danach. Ellen
kam bereits die Treppe herunter, wieder mal in den unvermeidlichen Männerbademantel
gehüllt. Nein, er wollte jetzt nicht mit ihr reden.
»Frank?«
»Was ist
denn? Ich bin müde.«
Sie verschränkte
die Arme und lehnte sich an die Wand. Sie wirkte nicht glücklich. Sollte sie nicht
fröhlicher aussehen, so als Frau ›in guter Hoffnung‹?
Er seufzte.
»Willst du reinkommen?« Eigentlich wollte er nicht, dass sie mitkam. Doch sie nickte
so dankbar, dass er mit schlechtem Gewissen einen Arm um ihre Schultern legte. Hinter
der Tür kuschelte sie sich an ihn.
»Entschuldige,
Frank, aber ich bin so durcheinander.«
»Sicher
die Hormone.« Sanft schob er sie von sich. Ihre Züge hatten sich ein wenig verändert,
vermutlich durch die Schwangerschaft. Sie hatte einen Ausdruck, den er vorher nie
an ihr gesehen hatte. Hieß es nicht, dass man einer Frau schon in den ersten Tagen
eine Schwangerschaft ansehen könne? Das schien zu stimmen. Wenn man genau hinsah.
Ellen trat
einen Schritt zurück. »Ich bin mir plötzlich nicht mehr sicher.«
»Womit?«
»Damit,
ob der Dieter der Richtige ist.«
Ihm wurde
übel. »Wie bitte?«
Sie raffte
den Mantel über der Brust zusammen und zog gleichzeitig die Schultern hoch. Damit
erinnerte sie ihn einen Moment an die jugendliche Ellen, als deren Beschützer er
sich früher, in ihren allerersten Tagen, manchmal gefühlt hatte. Der Eindruck verstärkte
sich noch, weil eine einzelne Träne über ihre Wange rollte.
Er räusperte
sich und gab dem Fluchtimpuls nach, der ihn überkam, verschwand in der winzigen
Küche, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Für Ellen griff er sich ein
Glas und eine Wasserflasche, dann ging er zurück in das Wohnzimmer. Sie saß auf
der äußersten Kante des Ohrensessels und sah zu ihm auf. Ihre Gesichtszüge hatte
sie wieder im Griff, von Tränen keine Spur.
»Dann schieß
mal los.« Er stellte das Glas vor sie und goss Sprudel ein, dann nahm er einen tiefen
Zug aus der Bierdose. Gott, war er müde!
Sie kicherte
unsicher. »Ach, ich weiß auch nicht so richtig, was los ist. Seit du nach dem Essen
in der Küche mit mir gesprochen hast, bin ich so verunsichert.«
»Du meinst
die Sache mit ›Mamilein und Papilein‹?« Er wischte mit der Hand durch die Luft.
»Mach dir doch nichts daraus. Viele Paare mutieren zwischendurch zu Vater- und Muttertieren.
Das gibt sich wieder.« Rasch trank er einen Schluck, weil er befürchtete, Ellen
würde ihm sonst ansehen, dass er das selbst nicht glaubte.
Sie nahm
ihr Glas, trank aber nicht, sondern sah Frank über den Rand hinweg an. »Bis gestern
fand ich das ganz witzig, aber ehrlich gesagt zucke ich jetzt innerlich zusammen,
wenn er mich so nennt.« Sie stellte das Glas zurück. »Bin ich schizo?«
»Nein, gar
nicht.«
Sie rutschte
in dem Sessel nach hinten. Na prima, dann musste er sich wohl auf ein längeres Gespräch
einstellen. Er schielte möglichst unauffällig auf seine Uhr. Sie zog eine Grimasse.
»Frank,
ich
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