Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
war
nach dem einen Zigarillo plötzlich so übel, dass ich wirklich nur noch rennen konnte.«
»Hat Sie
jemand gesehen?«
»Ja, Mark
Friskeel …«
»Sie sind
ihm begegnet?«
»Ja, er
kam auf das Dach, als ich es verließ. Aber ich wusste da noch nicht, dass er es
war.«
»Haben Sie
das Türchen am Geländer geschlossen, bevor Sie gegangen sind?«
Sie trank
einen weiteren Schluck Wein und zog die Beine an, stellte sie auf der Stuhlkante
ab und schlang die Arme um die Waden. »Das weiß ich nicht mehr … Ich weiß es einfach
nicht. Ich bin wirklich gerannt .« Sie rieb sich mit einem Handrücken über
die Stirn. »Sieht nicht so gut für mich aus, oder?«
Er seufzte.
»Tja. Es könnte natürlich sein, dass Mark Friskeel hinuntergestürzt ist, weil er
nicht schwindelfrei war und an der offenen Stelle das Gleichgewicht verlor … Andererseits
könnte ihn auch jemand gestoßen haben.«
Sie ächzte.
»Sie verdächtigen doch nicht mich?«
Er betrachtete
sie lange. Ihre Pupillen weiteten sich, sie wirkte aufgeschlossen und ehrlich. Nein,
sicherlich hatte sie nicht mit Vorsatz gehandelt. Blieb die Frage, ob sie trotzdem
Verursacherin des Unglücks war. Er massierte mit Daumen und Zeigefinger seine Nasenwurzel.
Dann nahm er die Brille ab, um sich die Augen zu reiben. Ihm fehlte Schlaf. Als
er die Brille wieder aufsetzte, hatte Lucy einen noch weicheren Gesichtsausdruck
als zuvor. Wenn er nicht alles vergessen hatte, was er in seinen Sturm-und-Drang-Jahren
mit Frauen und, ja, mit Ellen erlebt hatte, dann erging es diesem zauberhaften Wesen
vor ihm in dieser Sekunde genauso wie ihm selbst: Alles in ihm drängte danach, sie
an sich zu ziehen und jeden Zentimeter ihres Körpers zu erkunden. Verlegen räusperte
er sich.
»Können
Sie sich vorstellen, dass Ihnen jemand diese Morde oder Unfälle in die Schuhe schieben
möchte?«
»In die
Schuhe schieben? Aber warum das denn?«
»Keine Ahnung.
Ich glaube Ihnen, dass Sie die Morde nicht geplant haben … Aber wer steckt dann
dahinter?«
Sie setzte
die Füße wieder auf dem Teppich ab und beugte sich leicht vor. »Auf diesen Gedanken
bin ich noch gar nicht gekommen.«
»Gibt es
jemanden, der Ihnen schlecht gesonnen ist?«
»Hmm … Vielleicht
mein Chef.«
Dürrbier
… Die Wahrscheinlichkeit, dass er eine seiner Angestellten in Schwierigkeiten bringen
wollte und dazu Morde beging, war nun nicht sehr hoch. Er hatte ganz andere Mittel
und Wege, um ihr das Leben schwer zu machen. Die er ja auch einsetzte, wie sie ihm
erklärt hatte. In den letzten Wochen hatte Lucy Schober übermäßig oft die Horrorliste
der Saarländer auf dem Schreibtisch gehabt. »Fällt Ihnen jemand anderes ein?«
Sie verneinte.
»Was ist
mit Ihrer Schwester Katharina?«
»Kat? Was
soll mit ihr sein?«
»Könnte
sie etwas damit zu tun haben?«
Sie schüttelte
den Kopf, dass die Locken flogen. »Niemals. Wie kommen Sie denn darauf?«
»Sie wirkt
ein wenig … jähzornig und scheint sehr empfindlich zu reagieren, wenn es um Ihre
Telefonate mit den Spezialkunden geht. Tatsächlich hat sie mir keine echten Alibis
für die Zeitpunkte der Unglücksfälle nennen können.«
Lucy lachte
auf. »Sie heißt nicht umsonst Rebellenkat.« Sie ließ den Blick in die Zimmerecke
wandern. Zweifelte sie? »Nein, ausgeschlossen, dass Kat etwas damit zu tun hat.
Dann hätte ich sie sehen müssen, schließlich war ich selbst immer in der Nähe …«
Wieder huschte ihr Blick zur Seite, sie kaute auf der Unterlippe herum. Also doch
…?
»In allen
Fällen hätte sie unbemerkt dabei sein können«, sagte er ruhig.
Sie stand
auf, nahm ihr Glas und ging zu einem der Sessel, ließ sich hineinfallen. Der Wein
schwappte über und hinterließ einen Fleck auf dem olivgrünen Top. »Mist«, zischte
sie, zog das Top ein wenig nach vorn – er konnte den Ansatz ihres Busens sehen –
und rieb an dem Fleck herum, was natürlich überhaupt nichts brachte.
»Lucy, ich
glaube auch nicht, dass Ihre Schwester etwas mit den Todesfällen zu tun hat, aber
auch heute: Wenn sie – oder jemand anderes – unmittelbar nach Ihnen die Dachterrasse
betreten hat … Wir haben sie unten ja getroffen, nicht wahr?« Er setzte sich nun
ebenfalls auf die Couch.
»Ja, schon«,
sie nickte, »aber sie kann damit gar nichts zu tun haben. Sie wusste ja zu dem Zeitpunkt
noch nicht, dass ich mit Mark Friskeel telefoniert hatte, geschweige denn, wo er
war, und er ist doch nur durch Zufall auf das Dach gekommen.«
Er lehnte
sich zurück. Er war müde,
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