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Beichte eines Verfuehrers

Beichte eines Verfuehrers

Titel: Beichte eines Verfuehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hart Megan
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hinter meinen Lidern lauerten. Aber nichts passierte. Es zerrte an mir, wie ein Haken im Maul eines Fisches zerrt. Ja, es würde mich von den Füßen reißen, wenn ich es freiließ. Dann wäre es endlich vorbei.
    Ich wartete lange. Da war nichts anderes in mir außer dem Schmerz, weil ich etwas wollte, das ich offensichtlich nicht bekommen konnte.
    Meine Welt hatte viele verschiedene Farben. Und sie waren allesamt grau. Depressionen sind heimtückisch, weil sie sich mit Müdigkeit, Schmerzen und einem allgemeinen Krankheitsgefühl tarnen. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn ich mich einfach in dieses Grau hätte gleiten lassen. Obwohl ich aufstehen musste, hätte ich im Bett bleiben können, dieselben Kleider tagelang tragen können, statt neue anzuziehen. Ich hätte der Trauer erlauben können, mich zu zerfressen.
    Dafür, dass ich diese schwere Zeit so wunderbar überstand, lobte ich mich nicht. Wenn überhaupt, so war meine Weigerung, mich diesem Schmerz hinzugeben, genauso ein Fehler, wie es ein Fehler gewesen wäre, mich ganz der Trauer hinzugeben. Vielleicht hätte ich es besser überwunden, wenn ich mir ein paar Wochen gegönnt hätte, in denen ich mich in diese Trauer einkuschelte. Aber das Problem, wenn man ständig zurückblickt, während man schon wieder vorwärts geht, ist, dass man meist in irgendetwas hineinläuft und sich wehtut.
    Also stand ich auf. Ich duschte, zog mich an, ich aß bewusst, wenn ich daran dachte. Manchmal dachte ich nicht daran und aß einfach nur Toast oder Haferbrei. Ich ging wieder in meine Praxis und behandelte die Patienten, die kamen. Wenn sie bemerkten, dass ich nicht immer bei der Sache war, beklagten sie sich nicht.
    Tag für Tag wich das Gefühl, weinen zu wollen, bis ich mich fragte, wie ich je hatte glauben können, es würde mir helfen. Woche für Woche arbeitete ich daran, mein Leben wieder aufzunehmen. Ich arbeitete und bezahlte die fälligen Rechnungen. Ich fürchtete mich vor den Feiertagen, aber die freie Zeit war für mich eine Befreiung. Es gab keinen Weihnachtsbaum, niemand hatte das Haus geschmückt, nicht einmal mehr die Dekorationen von Adams Mutter standen herum. Ich brauchte kein Festessen kochen und konnte die Einladung meiner Eltern annehmen, ohne mir Sorgen zu machen, wer in der Zeit bei Adam blieb. Ich war überall ein willkommener Gast. Der Preis dafür war meine Trauer.
    Es war wunderbar.
    Es gab zwar überall Leute, die beiseiteblickten, wenn ich über meinen Verlust sprach. Aber ich konnte das erste Mal seit vier Jahren über Adam reden. Und ich tat es. Mit meinen Eltern, mit Katie und ihrem Ehemann. Mit Bekannten, die ich nur einmal im Jahr auf Partys traf. Und mit diesem Schmerz konnten sie umgehen, sie konnten mich trösten, mir ihr Beileid aussprechen, verständnisvoll nicken, weil sie wussten, wovon ich sprach. Der Tod war anscheinend weniger befremdlich als Adams Behinderung es einst gewesen war.
    Aber der Tod übt auch nur eine kurze Faszination aus, wenn man dem Betroffenen nicht nahesteht. Nach den Partys bekam ich nur noch wenige Anrufe und Grußkarten. Die Welt drehte sich ohne mich weiter.
    Dennis lud mich eines Tages zum Abendessen ein, und ich nahm die Einladung an. Das kleine Restaurant, in das er mich ausführte, kannte ich, weil ich bestimmt ein Dutzend Mal daran vorbeigefahren war. Aber ich war noch nie dort gewesen. Das Essen war gut, die Unterhaltung noch besser. Es tat mir gut, mit Dennis zusammenzusitzen und über Adam zu reden, ohne auf den Kummer eines Anderen Rücksicht zu nehmen. Dennis war so klug, mich die meiste Zeit reden zu lassen.
    „Ich vermisse ihn“, sagte Dennis nach dem Essen, als wir auf dem Parkplatz standen. „Er hat mich beim Schach geschlagen wie kein anderer.“
    „Adam war so glücklich, dass er mit dir spielen konnte. Ich habe Schach nie gelernt.“
    „Ich fühle mich schuldig“, sagte Dennis plötzlich. „Wenn ich dort gewesen wäre, vielleicht …“
    „Ich mache dir keinen Vorwurf, Dennis.“
    Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Auf der Zunge schmeckte ich Bitterkeit – er konnte weinen, ich nicht.
    „Er war ein guter Mann.“
    „Ja“, sagte ich. „Das war er.“
    „Aber ich fühle mich einfach so schuldig …“
    „Das tue ich auch“, gestand ich. „Aber nicht weil ich denke, ich hätte irgendetwas anders machen können oder weil ich ihn an diesem Tag alleingelassen habe.“
    Der Ohrring von Dennis glitzerte im Schein der Lampe auf, als er den Kopf drehte.

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