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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Tresor gegangen und hab ihn aufgemacht und mir überlegt, gebe ich ihr jetzt einen Tausender? Aber in meinem Rücken höre ich schon wieder diese leise Stimme, und die sagt, du willst mich jetzt bezahlen, das ist lieb von dir, ich kenne aber meinen Tarif noch gar nicht, und in diesem Augenblick sehe ich diesen verfluchten Schmuck und denke, vielleicht nimmt sie den, und ich bin beide los, den Schmuck und diese Irre, und dreh mich um und halte ihr die Kette hin, und plötzlich grabscht sie danach und rennt aus dem Büro...« Beyschlag hielt inne. Plötzlich blickte er zu Berndorf auf. »So war’s. Müssen Sie damit jetzt noch zum Staatsanwalt?«
    »Müssen muss ich nicht«, kam die Antwort. »Aber tun werde ich es.«
     
     
     
    Der Landgerichtspräsident war ein freundlicher weißhaariger, rotweingesichtiger Herr, ein Zivilrechtler, dessen einzige und besondere Begabung darin bestand, dass er selbst streitsüchtigste Parteien zu einem Vergleich bewegen konnte. Auf diese Weise hatte er in seinem Richterleben so viele Steine aus dem Weg geräumt, dass irgendwann die Berufung auf einen Chefposten unvermeidlich geworden war. An diesem Morgen freilich wirkte er ein wenig besorgt, die Mitteilung, dass das vor der Schwurgerichtskammer anhängige Verfahren Morny in immer heftigere Turbulenzen zu geraten drohte, missfiel ihm. Wenn er etwas hasste, so war es Unordnung, Aufgeregtheit, Streit.
    »Habe ich das richtig verstanden - Sie rechnen mit politischen Implikationen?«
    »Wenn die Informationen zutreffen, die mir vorliegen«, antwortete Veesendonk, »dann hat uns das Innenministerium einen wichtigen Zeugen vorenthalten. Und zwar den Mann, der mit dem Mordopfer zuletzt zusammen war.« Veesendonk hob die Hand, Finger und Daumen zu einem Kreis zusammengelegt, als wolle er den springenden Punkt markieren. »Sie haben im Innenministerium darüber entschieden, wen wir als Zeugen vorzuladen haben und wen nicht. Im Innenministerium!«
    »Und dieser Zeuge wäre wichtig gewesen?«
    Veesendonk antwortete nicht, sondern sah den Landgerichtspräsidenten nur an.
    »Entschuldigung«, sagte der, »der Zeuge hatte das Mordopfer ja noch gesehen... so sagten Sie doch? Und Ihre Information ist absolut zuverlässig?«
    »Welche Information ist das schon?«, fragte Veesendonk zurück. »Die Quelle ist zuverlässig.«
    »Und wie werden Sie weiter verfahren?«
    »Ich habe die Polizei bereits gebeten, diesen möglichen Zeugen zu überprüfen. Wenn sich meine Informationen bestätigen,
werden wir diesen Mann - übrigens einen Landrat - als Zeugen laden müssen«, antwortete Veesendonk. »Was sich dann daraus ergibt, ob weitere Beweisanträge gestellt werden, ob wir den im Innenministerium verantwortlichen Polizeiführer laden müssen - das alles kann ich im Augenblick nicht abschätzen.«
    Der Landgerichtspräsident sah Veesendonk sorgenvoll an. »Sie werden das, so darf ich doch hoffen, mit Ihrem gewohnten Augenmaß und vielleicht... wie soll ich sagen?... mit einer gewissen Delikatesse behandeln?«
    »Nach der Maßgabe der Strafprozessordnung werde ich das tun.« Veesendonk wollte aufstehen.
    »Ja, natürlich«, meinte der Präsident eilig. »Aber bleiben Sie doch noch einen Augenblick... Ich habe Ihnen eine vertrauliche Mitteilung zu machen.«
    Veesendonk runzelte die Stirn, blieb aber sitzen.
    »Ich weiß aus zuverlässiger, sehr zuverlässiger Quelle«, begann der Präsident, »dass die Entscheidung über die vakante Stelle des Landgerichtspräsidenten in Tübingen unmittelbar bevorsteht.« Er senkte die Stimme. »Sie haben doch auch ein paar Semester in Tübingen studiert, nicht wahr? Es müsste Sie interessieren, dass Sie die erste, allererste Wahl für diese Berufung sind …«
    »Danke«, sagte Veesendonk, »sehr freundlich. Aber... erlauben Sie, dass ich mich dazu erst äußere, wenn die Sache wirklich spruchreif ist.«
    Diesmal stand er auf und verabschiedete sich. Tübingen!, dachte er und dachte es noch immer, als er die Wendeltreppe in den ersten Stock hinunterging, wo sein eigenes Richterbüro lag, Tübingen! Bäume irdisch, und Licht / darin der Kahn steht, gerufen / die Ruderstange gegen das Ufer, die schöne / Neigung …
    An der Fensterfront im Flur vor seinem Büro stand ein Mann, sehr aufrecht, und starrte hinaus, dorthin, wo sich auf der anderen Seite des Frauengrabens die gelben Backsteinmauern der Untersuchungshaftanstalt erhoben.
    »Überlegen Sie schon wieder, mein Lieber, wen Sie wie dorthin
bringen können?«, fragte

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