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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Veesendonk, als er bei dem Mann angelangt war.
    »Sie irren«, antwortete Berndorf und sah noch immer hinaus. »Jemanden dorthin zu bringen, ist schon lange nicht mehr mein Job.«
    Die beiden Männer tauschten einen Händedruck. Veesendonk schloss sein Büro auf. »Bitte einzutreten...«
     
     
     
    Warum hat sie den Schmuck genommen?« Veesendonk hatte sich Notizen gemacht, während Berndorf berichtete, in einer sehr kleinen, sehr akkuraten Kurzschrift, und lehnte sich jetzt zurück.
    »Weil es ihr Hurenlohn war«, antwortete Berndorf.
    Veesendonk schüttelte den Kopf. »Warum reden Sie so? Das ist sonst nicht Ihre Art.«
    »Nein?« Berndorf hob die Augenbrauen. »Bei den Akten muss sich doch eine Aufstellung über ihr Einkommen befinden. Ist Ihnen da nichts aufgefallen?«
    »Die Morny hat gut verdient, aber auch nicht so, dass es mir auffällig gewesen wäre«, antwortete der Richter. »Nun habe ich mir diese Aufstellung vorhin noch einmal angesehen, und im Licht der jüngsten Entwicklung...« Er zuckte mit den Schultern. »Dass man mit Führungen zu Oberschwabens Kulturdenkmälern keine sechs- oder achttausend Euro Honorar im Monat einfahren kann, hätte mir etwas früher auffallen können, ja doch... dieser Landrat Kröttle war oder ist Aufsichtsrat der Neckarwerke, sagten Sie?«
    Berndorf nickte.
    »Das erklärt natürlich einiges.« Veesendonk drehte sich um und nahm einen Aktenordner, der aufgeschlagen auf einem Rolltisch neben ihm stand. »Hier.« Mit dem Zeigefinger fuhr er eine Zahlenkolonne entlang. »In unregelmäßigen Abständen, aber schätzungsweise zwei bis drei Mal im Monat sind Überweisungen der Neckarwerke eingegangen, jeweils zwischen achthundert und fünfzehnhundert Euro, jeweils plus neunzehn
Prozent Mehrwertsteuer, Verwendungszweck jeweils entweder ›Honorar Führung‹ oder ›Honorar Gutachten‹ …«
    »Über ihren Tarif war sie sich also doch sehr schnell im Klaren«, bemerkte Berndorf. »Beyschlag hätte sich gewundert.«
    »Sie hat sich also aushalten lassen. Oder, wenn Sie darauf bestehen: Sie hat sich prostituiert. Das muss an dem Fall, so wie er sich uns darstellt, nichts ändern«, meinte der Richter. »Vielleicht hat der Hauptmann Morny von diesem Nebenerwerb der Ehefrau nichts gewusst, und sie hat es ihm zur falschen Zeit gesteckt... alles möglich. Die eigentliche Irritation geht für mich von diesem Schmuck aus. Noch einmal: Warum hat sie ihn überhaupt genommen?«
    »Da gibt es mehrere Möglichkeiten«, antwortete Berndorf. »Sie nimmt ihn, weil sie sofort erkennt, dass er einen besonderen Wert darstellt oder sonst etwas Besonderes ist. Dass er ein Kunstwerk ist. Einer Kunsthistorikerin wird sich so etwas normalerweise sehr schnell erschließen... Andere Möglichkeit: Sie nimmt den Schmuck, weil sie noch kein Geld nehmen will. Noch nicht!... Drittens: Sie ist verzweifelt, gedemütigt, fühlt sich beschmutzt und vorgeführt und hereingelegt, und greift nach dem Schmuck, weil sie für irgendjemand, für die Welt draußen oder für sich selbst ein Beweisstück dafür braucht, wie übel dieser Kerl ihr mitgespielt hat.«
    Veesendonk hatte die Arme aufgestützt und die Hände vor seinem Mund verschränkt. Er blickte zweifelnd. »Am ehesten leuchtet mir Erklärung drei ein«, meinte er schließlich. »Aber dass sie diese verfluchte Kette dann auch getragen hat! Da genügt doch ein Blick in den Spiegel, und die Erinnerung ist wieder da, die Erinnerung an eine beschämende, eine traumatisierende Erfahrung... Wollte sie das? Eine vorsätzliche seelische Selbstverletzung?«
    »Vielleicht«, sagte Berndorf. »Aber sie hat den Schmuck sogar angelegt, als sie ihre Eltern besuchte.«
    Veesendonk schien zu überlegen. »Sie ist aufgewachsen als wohlerzogenes, behütetes einziges Kind ihrer wohlerzogenen, respektablen, kultivierten Eltern«, sagte er schließlich, »sie hat
ein Fach studiert, das sehr fern von den alltäglichen Niederungen angesiedelt ist, sie hat einen Herrn Offizier geheiratet, vermutlich war es eine Hochzeit ganz in Weiß... Viel zu spät hat sie begriffen, dass die Welt anders tickt. Warum hatten ihre Eltern sie darauf nicht vorbereitet?«
    »Das ist von den Eltern ein wenig viel verlangt«, wandte Berndorf ein.
    Der Richter blickte auf. »Sie kennen sich mit den Problemen überforderter Eltern aus?«
    »Nein.« Berndorf schüttelte den Kopf. »Ich stelle sie mir nur vor.«
    Veesendonk wiegte den Kopf, ein wenig skeptisch, wie es schien. »Die Wirklichkeit ist dann

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