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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Kommandos, wenn sie keine Schusswaffen einsetzen wollen, zu nichts anderem taugt diese Technik, und selbst für diese Art von Mord gibt es bessere Tricks.«
    Ein pazifistischer Sportlehrer, dachte Kuttler, man lernt nicht aus. »Aber du«, fragte er ungerührt, »du könntest damit töten?«
    »Ja, Kuttler, könnte ich. Aber ich tu’s nicht. Und ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich einen solchen Schlag anwenden würde.«
    »Der Hauptmann Morny hätte es auch gekonnt?«
    »Was fragst du mich das?«, gab Pollath zurück. »Ich denke, ihr habt ihn überführt?«
    »Hätte er es gekonnt?«
    »Ja doch. Obwohl …« Pollath machte eine kurze Pause und betrachtete seine Hände, als sollten sie ihm seine Gedanken ordnen. »Natürlich kenne ich Morny, und deshalb habe ich diese ganze Geschichte nie verstanden. Um mit der Handkante zu töten, musst du den Schlag so genau setzen, wie du das betrunken gar nicht hinkriegst. Und wenn du nicht betrunken bist, wendest du diese Technik nicht an. Und Morny täte das auch nicht. Nicht gegen eine Frau. Absolut ausgeschlossen.«
    »Na gut«, meinte Kuttler. »Aber wenn es jemand anderes war - wer hat dann dem diesen Schlag beigebracht?«
    »Ich nicht«, antwortete Pollath. »Dabei arbeite ich nicht nur mit den Kollegen hier in der Direktion. Ich gebe ja auch sonst Kurse. Manchmal sogar für Frauen, aber das läuft ziemlich bescheuert, du kannst ihnen die Griffe gar nicht richtig zeigen, da ist eine Trainerin besser geeignet. Einmal hab ich einen Kurs gehalten für Richter und Staatsanwälte, weil die doch auch manchmal ziemlich aggressive Kundschaft haben, aber das war auch kein Zuckerschlecken: alles Talarträger, die vor zwanzig Jahren zum letzten Mal eine Liegestütze gemacht haben. Und in der Volkshochschule beginnt nächstes Trimester wieder ein Lehrgang in Selbstverteidigung, aber das ist fast schon wieder ein zu großes Wort. Ein bisschen die Angst wegnehmen, ein bisschen Fitness aufbauen. So was. Wie man einen Schlag abwehren
kann. Aber ich käme nie auf den Gedanken, solchen Leuten Handkantenschläge beizubringen, da lachen ja die Hühner!«
    »Wird das in den Sportschulen trainiert oder in irgendwelchen Clubs?«, setzte Kuttler nach. »Oder kann sich das einer womöglich selbst beibringen?«
    Pollath hob die Schultern und senkte sie wieder, langsam. »Selber beibringen? Weiß nicht. Eher nicht. Und kein Trainer mit einem Funken Verantwortungsbewusstsein bildet in einer Technik aus, mit der einer nur in Teufels Küche kommt und nirgendwohin sonst. In irgendwelchen Klitschen mag das anders sein, ob die sich nun Club oder Sportschule nennen … In Neu-Ulm drüben gibt es so eine, in der Nähe vom Bahnhof, und draußen im Industriegebiet, und beide gehören schon halb oder ganz zum Milieu. Gut möglich, dass sie dort auch schon welche haben, die die richtig schmutzigen Tricks kennen. Aber...« - Pollath hob die breiten Schultern und ließ sie wieder sinken - »... was hätte Mornys Frau mit dem Milieu zu tun?«
    Kuttler ging auf die Frage nicht ein. »Wie ist das bei der Bundeswehr? Wie viele Leute werden dort in diesen Techniken unterwiesen?«
    »Frag den Morny, der war ja Ausbilder. Vielleicht hat er das alles lockerer gesehen, als ich es tue. Als Sport vielleicht. Wenn ihn einer gefragt hat, zeig mir, wie das geht und wie ich schlagen muss, dass der Schlag auch wirklich sitzt - vielleicht hat er es dann gezeigt. Weil er gar nicht daran gedacht hat, dass da einer vielleicht einmal wirklich töten will. Unsereins weiß, wie das nachts bei einem Einsatz zugeht. Wie es plötzlich ernst werden kann. Aber Morny - bis der in den Kosovo kam, hat er nur Manöver gekannt. Mag sein …«
    Er sprach den Satz nicht zu Ende. Mag sein... was? Dass der Hauptmann Morny selbst jenen Kerl ausgebildet hat, der ihm die Frau totgeschlagen und ihn ins Gefängnis gebracht hat?
    Plötzlich wusste Kuttler, dass er noch einmal mit Morny reden musste.
    Er stand auf, dankte seinem Kollegen und verabschiedete sich,
wobei er Pollath vorsichtshalber keine Hand reichte. Man muss seine Pfote nicht freiwillig in einen Schraubstock stecken.
    Wem alles hatte Pollath Unterricht in Selbstverteidigung gegeben? Er versuchte sich Desarts vorzustellen oder den Landgerichtspräsidenten, beim Abwehren eines Überfalles: das musste ganz gewiss sehr komisch gewesen sein …
    »Kuttler«, rief ihm eine Stimme über den Korridor nach, sie gehörte dem humpelnden Schaufler von der Poststelle, »da ist ein

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