Beifang
Klirren.
»Wer seinen Acker bebaut, wird Brot die Fülle haben«, sagte Walleter und kniete sich neben der Grube nieder, um die Lampe besser halten zu können, »wer aber nichtigen Dingen nachgeht, ist ein Tor.«
»Hier!«, sagte eine halblaute Stimme und hob ein schwarz schimmerndes Gefäß aus dem Grab. Walleter nahm es ihm ab.
Berndorf sah auf. Von der Hauptstraße her tasteten die Lichtkegel von Autoscheinwerfern über die Friedhofsbäume. Fahrgeräusch näherte sich.
»Das klingt nach einem Daimler«, sagte Walleter. Lukas schwang sich aus der Grube. »Ist das Polizei?«, fragte er.
»Vermutlich«, antwortete Berndorf. »Aber diesmal sind nicht Sie es, der davonläuft. Davonlaufen ist nicht mehr, haben Sie verstanden?« Er ließ sich von Walleter die Urne geben. »Wo war noch einmal der Seiteneingang, von dem Sie gesprochen haben?«
Lukas zeigte zu der südlichen Friedhofsmauer, dorthin, wo der Hund angeschlagen hatte.
»Danke«, sagte Berndorf, »gegenüber der Polizei sagen Sie am
besten gar nichts, Lukas, nur Ihren Namen, sonst kein Wort, jedenfalls nicht heute Nacht!« Er verschwand in der Dunkelheit, die Urne unter dem Arm.
Der Daimler blieb, mit laufendem Motor, vor dem Haupteingang des Friedhofs stehen, Türen wurden geöffnet, jemand stieß den Torflügel auf, der Lichtstrahl von Taschenlampen wanderte über die Gräber, die den Hauptweg säumten.
»Ich weiß nicht«, meinte Lukas, »ob das so ein besonders faires Spiel ist.«
»Fair?«, fragte Elaine. »Das hier ist kein Spiel. Sie haben sich ins Leben verirrt, Lukas. Das Leben weiß nicht, was fair ist.«
Margarethe Freundschuh hatte eine Cousine, die war Anwaltsgehilfin, nur war deren Chef Scheidungsanwalt, und so spät am Abend - hatte die Cousine hinzugefügt - dürfe man ihn sowieso nicht anrufen. Aber Margarethe hatte es doch getan, und der Anwalt war gar nicht einmal besonders unfreundlich gewesen, sondern hatte ihr einen Kollegen genannt, der »solche Sachen« übernimmt … Solche Sachen? Beim Kollegen des Scheidungsanwalts meldete sich aber nur der Anrufbeantworter, so suchte Margarethe seine Privatnummer heraus und rief dort an, der Kollege für »solche Sachen« hörte sie auch ganz ruhig an und sagte schließlich, dass man jetzt erst einmal nur warten könne, aber wenn sich der Sohn melde, dann solle Margarethe ihn zu ihm schicken, er würde dann mit ihm reden...
Das war alles nichts oder vielleicht doch etwas, Margarethe wusste es nicht genau, aber für den Augenblick fühlte sie sich besser, als sie auflegte. Ihr Mann saß noch immer auf der Couch und starrte vor sich hin, das war noch nie anders gewesen. Wenn es schwierig wurde, kam von ihm nicht viel.
»Der kann auch nur raten, dass er zur Polizei gehen soll«, sagte Wolfgang Freundschuh mit dieser Stimme, die in Margarethes Ohren wehleidig klang und aggressiv in einem, weil sie alles hinunterzog, hinab in die eigene Depression.
»Nein«, antwortete Margarethe, »so ist das nicht. Lukas kann
zu jeder Zeit zu ihm kommen, und er wird mit ihm reden, und wenn es vernünftig ist, das zu tun, wird er ihn zur Polizei begleiten …« Dann fiel ihr ein, dass Lukas nicht angerufen hatte und nicht anrufen würde, weil er kein Handy und überhaupt kein Geld hatte, und schon war das bisschen Zuversicht, das ihr zugeflogen war, wieder weg. Plötzlich fröstelte es sie. »Hoffentlich … er hat nur seinen Trainingsanzug an, hast du gesagt? Es wird doch kalt in der Nacht...«
»Kann ich es ändern?«, fragte ihr Mann. »Ist es meine Schuld, dass er davongerannt ist?«
Schuld?, dachte Margarethe. »Du bist danebengestanden«, sagte sie.
Wolfgang Freundschuh hob den Kopf, der plötzlich gerötet war. »Was hätte ich denn tun sollen, sag mir das!«
Margarethe schüttelte den Kopf. »Das ist nicht das Problem.« Das Problem ist, dachte sie, dass Lukas davonrannte, obwohl der eigene Vater danebenstand.
Die Türklingel schlug an, Wolfgang und Margarethe sahen sich an. »Vielleicht...«, sagte Margarethe, lief durch den Flur zur Haustür und öffnete sie.
Ein grauhaariger Mann mit einer Plastiktasche stand davor.
»Was wollen Sie?«, fragte Margarethe Freundschuh, »das ist keine Zeit für einen Besuch.« Dann fiel ihr ein, dass dies der Mann war, der Lukas vorgelogen hatte, er wolle das Haus in der Halde mieten. »Und Sie sollten sowieso wissen, dass Sie hier nicht willkommen sind.« Sie wollte die Türe zuschlagen, aber der Mann hatte seinen Fuß dazwischengestellt.
»Das
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