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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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den Innenstädten wurden längst alle dafür geeigneten Plätze von den organisierten Bettlern aus Osteuropa besetzt gehalten.
    Im Fall des Pudelmanns kam hinzu, dass dieser einen Hund mit sich führte. Niemand beherbergt gerne einen Straßenköter, und schon gar nicht dessen Flöhe. Vermutlich hatte sich der Pudelmann ebendeshalb auf Gartenhäuschen spezialisiert. Aber auch das war für ihn riskant geworden: Wenn er geschnappt wurde, musste er als Rückfalltäter mit einer Haftstrafe rechnen.
    Er erinnerte sich, dass es im Landeskriminalamt einen Kollegen gab, der sich mit der Szene der Tippelbrüder und Stadtstreicher auskannte, und so rief er in Stuttgart an. Aber es war Samstagvormittag, der Kollege befand sich im Wochenende, nach einigem Hin und Her bekam Kuttler die Privatnummer, aber dort meldete sich niemand.
    »Scheiße«, sagte Kuttler, stand auf und zog seinen Parka wieder an. Was tat er hier? Er hatte gar keinen Dienst. Aber Johannes Rübsam war ihm eingefallen, Pfarrer der Pauluskirche, zu dessen Sprengel - sagte man so? - wohl auch der Michelsberg mit der Wilhelmsburg gehörte.
     
     
     
    Der Dieselmotor des vierzig Jahre alten Benz lief ruhig und gleichmäßig, und mit der gleichen Gelassenheit glitt der schwarz glänzende Wagen durch das Gedrängel und das Surren der auf der Autobahn A 8 sich überholenden und sich jagenden Fahrzeuge. Die Limousine - einst der Privatwagen von Walleters Seniorchef - hatte verschrottet werden sollen, da hatte ihn Wendel Walleter genommen und hergerichtet, »den ganzen Tag kannst du ja nicht im Gericht hocken«.
    Dr. Elaine Drautz saß im Fond, den Kopf gegen die Nackenstütze gelehnt, und hielt die Augen geschlossen. Die Nacht war wohl ein wenig kurz gewesen, sie war müde, eigentlich könnte sie jetzt ein paar Atemzüge schlafen, aber dann hüpfte ihr wieder
ein Gedanke durch den Kopf, nein: kein Gedanke, angerissene Bilder waren es, Gedankenfetzen, von denen sie im nächsten Augenblick schon nicht mehr wusste, worauf diese Fetzen hatten hinauswollen. Im Autoradio kamen Nachrichten, der UN-Generalsekretär machte die landwirtschaftlichen Exportsubventionen der USA und der Europäischen Union für die Hungerkatastrophe in Afrika verantwortlich, in Deutschland wollte die Staatspartei neue Kernkraftwerke, aber der baden-württembergische Ministerpräsident schloss eine Koalition mit den Grünen nicht aus, wie passte das alles zusammen und was für eine Nachrichtenauswahl war das! Was hatte der Polizist gestern Abend über den Ministerpräsidenten erzählt? Es kam nicht darauf an. Sie öffnete die Augen, noch immer saß vor ihr der große unförmige Mann in seinem Spezialsitz und hielt auf seine einschläfernde Weise den Wagen im Strom der anderen Fahrzeuge, und neben ihm der Grauhaarige, mit dem sie...
    »Pforzheim«, sagte sie. »So kann eine Stadt doch nicht im Ernst heißen. Warum noch mal fahren wir dorthin?«
    »Dort gibt es ein Schmuckmuseum«, antwortete Berndorf. »Das schauen wir uns an.«
    »Fein«, antwortete Elaine. Es war Samstagvormittag, warum sollte sie sich kein Museum ansehen? Vermutlich gab es sonst nichts zu tun. Und sie hatte keine Pläne, das Wochenende in München zu verbringen.
    Warum nicht? Es begann damit, dass sie keine Lust hatte, nach ihrer Post zu sehen, keine Lust, ihren Anrufbeantworter abzuhören, keine Lust, ihre Kontostände zu überprüfen (das schon gar nicht). Außerdem war das Autochen erst am Montag fertig.
    Und Gennadij?
    Gennadij war gestern Nacht.
    »Und danach?«
    »Danach fahren wir in den Schwarzwald. Hatten wir das nicht so ausgemacht?«
    »Vielleicht. Ich weiß es nicht mehr«, Elaine zögerte. »Möglicherweise
haben wir ein Problem. Dieser Mensch vom Innenministerium weiß Bescheid.«
    »Welcher Mensch?«
    »Der, mit dem Gennadij und ich zu Abend gegessen haben. Irgendwas mit Stein...?«
    »Steinbronner?«
    »Richtig. Kennst du ihn?«
    »Ja«, sagte Berndorf, »wir kennen uns. Seit bald vierzig Jahren.«
    »Ein Freund von dir?«
    »Das würde auch er kaum so sehen. Und worüber weiß er Bescheid?«
    »Dass wir den Scheich im Visier haben.« Sie versuchte, das Märchen vom Kalif Kleines Plappermaul nachzuerzählen.
    »Er hat ihn den Scheich genannt, der gern zu den schönen Mädchen geht?«, fragte Berndorf.
    »Hab ich doch gesagt.«
    Wendel Walleter hatte die Autobahn verlassen, sie kamen durch ein Industriegebiet, dann durch eine Vorstadt, die das blieb und einfach nicht Stadt werden wollte, Walleter bog nach links ab,

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