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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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denken, das den Waldboden durchpflügte, um allerhand Schnecken und Trüffel zu finden... Nur dass dem Tier auf dem Rücken eine Art kleiner Flügel wuchsen, natürlich waren es keine Flügel, sondern kleine zierliche Menschenfüße, die neben dem Rücken hochragten, links und rechts neben dem Rücken, der zwischen ihnen arbeitete und sich hob und sich wieder senkte und hineinwuchtete in das, was unter ihm begraben war: Das Tier also, dem auf dem Rücken Füße wachsen, dachte sie, aber den anderen Kindern zeigen wir das lieber nicht!
    Ein Telefon klingelte. Elaine wand ihre Handgelenke aus den Händen, die sie mit hartem Griff gepackt hatten, und hielt Gennadij die Ohren zu.
    »Nimm das Gespräch an«, sagte Gennadij, »es stört mich nicht.«
    »Und wenn ich schreien muss?«
    »Dann schrei.«
    Das Klingeln hörte nicht auf. Sie tastete nach dem Hörer und meldete sich mit einem knappen »Ja?« und sah nach der Wand. Gleichmäßig hob und senkte sich der Rücken, aber die Füße waren verschwunden.
    »Treffen wir uns morgen?«, fragte eine Stimme. Wir? Treffen? Wen? Ach, Dingsbums. Dingsbums, der die Eier pult.

    »Eher nicht.« Aus dem Rücken des Tieres wuchsen wieder die Füße, die zierlichen kleinen Menschenfüße: Also war das Ungeheuer dabei, eine Menschin aufzureißen, und brach sie auseinander und warf sich ihre Beine über die Schultern.
    Eine Frau schrie.
    »Entschuldige!«, sagte Dingsbums und legte auf.

Samstag, 16. Februar

    Wo sind Wunden ohne jeden Grund? Wo sind trübe Augen?«, deklamierte Wendel Walleter, mitleidlos das Glas Wasser betrachtend, in das Berndorf soeben zwei Aspirin-Tabletten geworfen hatte, und fuhr fort: »Wo man lange beim Wein sitzt und kommt, auszusaufen, was eingeschenkt ist.«
    »Kein Wein«, korrigierte Berndorf. »Obstschnaps.«
    Hinter der Theke blickte Tonio vom Gläserspülen auf und schlug ein Weizenbier vor, für einen Samstagmorgen nach einem schweren Freitagabend mit schweren Schnäpsen gebe es nichts Besseres.
    »Sie hätten sollen vorher eine Dose Ölsardinen essen«, meinte der Gerichtsreporter Frenzel. »Aber das Öl mittrinken.«
    »Wieso liegen hier eigentlich keine anderen Zeitungen aus, die Sie lesen könnten?«, fragte Berndorf, darauf wartend, dass sich die Tabletten auflösten. »Zeitungen, denen Sie die eine oder andere Finesse entnehmen könnten, eine gewisse Anschaulichkeit und Genauigkeit des Ausdrucks zum Beispiel? Da könnten Sie dann einfach lesen - lesen, lernen und stille sein.«
    »Offenkundig haben Sie meinen Nachruf nicht gelesen«, erwiderte Frenzel. »Die Würdigung eines großen Strafverteidigers, mit dem eine brillante forensische Tradition...«
    Berndorf wollte den Kopf schütteln, ließ es aber wieder bleiben, weil es wehtat. »Wer hat hier eigentlich zu viel getrunken?« Er horchte auf, irgendwo jammerte ein Mobiltelefon. »Warum können die Leute ihre Taschenquatschen nicht ausschalten, bevor sie in die Kneipe gehen?«
    Es war aber sein eigenes Handy, er zog es heraus und blickte sich um. Für diesen Morgen und diese Kundschaft war es zu viel der Mühe, nach draußen zu gehen.

    »Ja?«
    »Können wir uns heute treffen?« Die Stimme: gedämpft, zurückgenommen.
    »Hm.« Das klang, wie er selbst fand, nicht sehr geistesgegenwärtig. »Wo?«
    »In Stuttgart. Ich hol dich am Hauptbahnhof ab.«
    »Nein«, sagte Berndorf. »Ich besorg mir einen Wagen.« Und, um nur ja kein falsches Bild entstehen zu lassen. »Hab ich sowieso vor.«
    Es war kurz nach neun, sie verabredeten, dass er gegen halb zwölf am Hotel sein würde. Dann war das Gespräch beendet, und Berndorf bat Tonio um ein Telefonbuch.
    »Wenn Sie einen Wagen brauchen«, sagte Wendel Walleter, »ich fahr Sie gern.«
    Berndorf blickte ihn fragend an.
    »Samstags«, erklärte Walleter, »sind doch keine Verhandlungen.«
     
     
     
    Wilma Rohm hatte den Stuhl, der ihr angeboten worden war, um ein Unmerkliches zurück und zur Seite gerückt, so dass sie nicht auf gleicher Höhe mit Ivo Dorpat saß. Das hatte nicht so sehr damit zu tun, dass sie nur die Assistentin war und Dorpat der Hauptkommissar und Dezernatsleiter. Sie suchte Abstand. Fast die ganze Fahrt von Ulm bis Meersburg hatte Dorpat versucht, ihr seine breite weißliche Hand mit den spatelförmigen Nägeln aufs Knie zu legen, und noch auf der Überfahrt mit der Fähre hatte er sich so dicht neben sie an die Reling gestellt, dass sie sich eilends - »der Wind ist mir doch zu kalt« - in den Fahrgastraum hatte zurückziehen

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