Beifang
hochverehrten Landrat Dr. Franz Albrecht Kröttle« - an einem vorderen Tisch stand ein schlanker, hoch gewachsener Mann auf und blickte aus bebrillten Eulenaugen
ins Publikum und verbeugte sich -, sodann den Herrn Bürgermeister und weitere Notabeln, vor allem Gemeinde- und Kreisräte, das Aufstehen, Verbeugen und sich wieder Niedersetzen rotgesichtiger Würdenträger zog sich hin. Berndorf dachte schon, die Vorstellung der Ehrengäste werde niemals mehr ein Ende finden, da leitete die Vorsitzende zur Gründung des Ortsvereins vor fünfzig Jahren über, verlas das Gründungsprotokoll und den Bericht, den die Heimatzeitung seinerzeit über die Gründungsversammlung gebracht hatte. Berndorf warf einen Blick zu Walleter, der aber hörte mit der gleichen Andacht zu, die er jeder Zeugenaussage und jedem Plädoyer vor Gericht entgegenbrachte. Schließlich hatte die Vorsitzende nichts mehr zum Vorlesen und bat ein betagtes Männlein auf das Podium. Das dauerte, denn das Männlein, das vor einem halben Jahrhundert als erster Schriftführer des Ortsvereins amtiert hatte, war mittlerweile ein wenig zittrig geworden, so dass das Anheften der Goldenen Staatsparteinadel seine Zeit brauchte.
Das Männchen wollte dafür aber auch eine Rede halten dürfen. Es selbst sei jetzt nämlich alt, sagte es, und alle anderen Gründungsmitglieder schon auf dem Friedhof, deshalb dürften jetzt auch die Jungen ran, aber zu seiner Zeit hätte es keine Ortsvereinsvorsitzende gegeben, nirgendwo im Gäu, doch das sei schon recht, nur die Wahlergebnisse, »die sin nümme des!«.
Die Blasmusik setzte ein und spielte »Happy birthday«, dann war die Musik aus, die Blaskapelle räumte das Podium, und der Hauptredner des Frühschoppens trat ans Rednerpult. In seinem gut sitzenden dunklen Anzug mit der Krawatte im Staatsparteiblau machte Landrat Franz Albrecht Kröttle eine gute Figur, das musste Berndorf einräumen. Kröttle sprach locker, knüpfte freihändig an die Bemerkung des Männleins über die Wahlergebnisse an: Gewiss, sagte er, die seien schon mal besser gewesen, »aber das holen wir schon noch zurück, ich versprech es euch: Wir müssen nur erst die in Berlin dazu bringen, dass sie dort endlich wieder eine Politik machen wie wir hier im Land!«
Während der Landrat damit zur aktuellen Berliner Politik überleitete - »wir sind ja alle Autofahrer, und wenn da schon
eine Ampel herumstehen muss, dann ist mir lieber, sie steht auf Grün als auf Rot« -, kamen hinter der Bühne einzelne Mitglieder der Blaskapelle hervor und verteilten sich an den Tischen im Saal. Für einen Moment schweiften die Blicke der Zuhörer vom Landrat ab und folgten der Saxophonistin, die mit schwingenden und sehr ausladenden Hüften zielstrebig den Tisch ansteuerte, an dem Berndorf und Walleter Platz genommen hatten, und sich dort neben den einzigen jüngeren Mann setzte, einen großen kräftigen Kerl mit Geheimratsecken und einem Abzeichen der Freiwilligen Feuerwehr am Revers. Sie nickte den Tischnachbarn zu, wobei ihre Augen kurz und anerkennend auf Wendel Walleters stattlichem Ranzen verweilten.
Der Landrat war noch immer bei Rot und Grün, Berndorf bestellte sich noch ein Mineralwasser, die Saxophonistin kuschelte sich an ihren Geheimratseckenträger und wollte wissen, ob ihm die Musik gefallen habe, von selbst kam der Kerl nicht darauf, ihr eine Artigkeit zu sagen.
»Natürlich geht vieles nicht, was die Müslis wollen«, sagte der Landrat, »stellt euch vor, nun wollen sie die Exportsubventionen für landwirtschaftliche Erzeugnisse streichen, ich bitte euch! Das trifft doch nur die Ärmsten der Armen, die Hungernden in Afrika, die stehen dann auf dem Markt und können sich unser Getreide nicht mehr leisten und unsere Milch auch nicht, dabei wäre die so gesund bei den vielen Krankheiten, die die Leute dort haben....«
Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Saal. Berndorf blickte um sich, aber niemand hatte das Gesicht verzogen oder den Kopf geschüttelt, die Saxophonistin hatte sich von ihrem Feuerwehrmann gelöst und trank einen Schluck aus seinem Weizenbierglas, wie zufällig begegneten sich dabei ihre und Berndorfs Blicke. Rasch sah sie weg und wischte sich den Bierschaum vom Mund.
Am Rednerpult war Landrat Kröttle bei der Energiepolitik angekommen und wetterte gegen den Selbstbetrug, wie er es nannte, der erneuerbaren Energien. »Nehmt nur die Windräder, liebe Freunde, die sind doch eine Verschandelung unserer
schönen Landschaft, dabei haben diese
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