Beifang
Schandräder überhaupt keinen Nutzen, Strom muss dann erzeugt werden, wenn er gebraucht wird, nicht dann, wenn gerade mal der Wind weht...«
Die Saxophonistin gab ihrem Feuerwehrmann einen Kuss auf die Wange, stand auf, blickte noch einmal - wie zufällig oder einfach neugierig - zu Berndorf und ging zur Bühne zurück. Auch die anderen Musiker fanden sich dort wieder ein, denn der Landrat kam zum Ende. »In einem halben Jahrhundert ändert sich viel, und nicht das Geringste davon ist, dass auch unsere Frauen das Sagen haben können - sei es in Berlin oder in Waldglasterhausen …«
Gerührt dankte die Ortsvereinsvorsitzende, die Musiker hatten wieder ihre Plätze auf dem Podium bezogen und legten mit einem Medley von Schlagern der sechziger Jahre los. Berndorf nickte Walleter zu, und so standen sie auf und gingen zu dem Tisch, an dem der Landrat saß und einen kräftigen Erfrischungsschluck nahm, indes ihn die Honoratioren um ihn herum zu seiner Rede beglückwünschten. Walleter blieb vor dem Tisch stehen und wartete, bis der Blick des Landrats auf ihn fiel.
Dann hob er die Hand und zeigte den Flyer vor, mit dem der Ortsverein zum Frühschoppen eingeladen hatte. »Es ist nichts weiter. Ich hätt nur gern ein Autogramm von Ihnen...«
»Ein Autogramm?«, echote Kröttle. »So wichtig ist ein kleiner Landrat nun wirklich nicht...«
»Vielleicht doch«, widersprach Walleter, »wissen Sie - vielleicht sind Sie bald Minister in Stuttgart oder gar in Berlin.«
»Also wirklich«, meinte Kröttle, griff aber in die Innentasche seines Sakkos, holte einen Füller heraus und schraubte ihn auf.
»Wo dieser Herr Recht hat, hat er Recht«, warf der Mann ein, der dem Landrat gegenübersaß. Er hatte hurtige Augen und war als Bürgermeister der Gemeinde Waldglasterhausen vorgestellt worden. Auch er hielt dem Landrat die Einladung hin, weitere Honoratioren folgten, und im Nu war Kröttle von einer Traube von Leuten umgeben, die es als unhöflich empfunden hätten, kein Autogramm von ihm zu wollen.
»Das ist mir noch nie passiert«, sagte er, signierte aber gehorsam
Flyer um Flyer. »Jetzt muss ich nur aufpassen, dass mir keiner eine faule Baugenehmigung unterschiebt... Was ist denn das hier?«
Auf dem Tisch vor ihm lag ein Foto, das Bild einer jungen Frau mit kurzen blonden Haaren. Kröttle sah hoch, zu dem Mann, der neben ihm stand und ihm das Foto hingelegt hatte und der ihn jetzt mit einem kalten und ruhigen Blick betrachtete.
»Wollen Sie dieses Foto nicht signieren?«, fragte Berndorf. »Sie haben diese Frau doch gekannt. Wissen Sie das nicht mehr?«
Kröttle stand auf, so hastig, dass er ins Schwanken geriet, und trat einen Schritt zurück. »So nicht«, sagte er und wies mit dem Zeigefinger auf Berndorf. »Sie sind... ein Erpresser sind Sie!« Er begann zu schreien, gellende Hilferufe erfüllten den Saal, für einen Augenblick schien alles erstarrt, wie aus der Zeit gefallen, dann setzte wieder Bewegung ein, Menschen wichen zuerst zurück und kamen vorsichtig wieder näher, eine Traube bildete sich um die beiden Männer, kräftige Fäuste packten Berndorfs Arme, vom Podium her drängte sich die Saxophonistin durch die Traube der Honoratioren und baute sich vor Berndorf auf.
»Ich bin Polizeibeamtin«, erklärte sie, »und nehme Sie vorläufig fest.«
»Bitte sehr«, sagte Berndorf.
Am anderen Ende des Saals ging Wendel Walleter zum Ausgang, langsam und bedächtig tat er das, noch immer den Flyer mit dem Autogramm in der Hand. Er verließ den Gasthof, stieg in seinen Benz und startete ihn. Die Straße zur Kreisstadt führte zunächst über frisch verschneite Höhen, dann in ein Tal hinab, auf dessen Wiesen schon kein Schnee mehr lag, und vorbei an einem Flüsschen voll lehmigem und schäumendem Wasser. Zwanzig Minuten später hielt er auf einem Parkplatz gegenüber einem in braunrotem Sandstein erbauten, schlossartigen Gebäude, dem Sitz der Polizeidirektion Hotzenwald. Er stellte den Motor ab und wartete.
Clemens Kammhuber betrachtete missmutig die PHM Bollinger, die zu langes und zu rotes Haar hatte und jetzt in ihrem Musikerinnenkostüm vor seinem Schreibtisch saß, als erwarte sie eine Beförderung. Er hatte sich auf einen freien Sonntag gefreut, war aber vor dem zweiten Saunagang von der Einsatzzentrale alarmiert worden, wegen einer Geschichte, von der er beim bloßen ersten Ansehen wusste, dass er damit nur Ärger haben würde.
»Noch einmal«, sagte er, »der Herr Landrat hat um Hilfe gerufen,
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