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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Wolken, und sah weder das eine noch das andere. Er hatte sich zum Narren gemacht, so viel war sicher, aber er wusste nicht, wie und warum ihm das widerfahren war.
    Unten überquerte ein Mann die Straße, er trug einen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut und ging sehr aufrecht, anmaßend aufrecht, fand Kammhuber. Dann stieg der Mann auf der Beifahrerseite in einen alten, schwarz glänzenden Benz, der
Wagen bog auf die Fahrbahn ein und glitt davon wie ein dicker, zufriedener, selbstgefälliger Fisch.
     
     
     
    Es war kurz vor 17 Uhr, und Carola Ehret war dabei, den Teetisch zu decken. Sie hatte vier Gedecke aufgelegt und zündete jetzt die Kerzen an, denn es dunkelte bereits. Schließlich war es noch früh im Jahr, und die Koniferen hatten das Reiheneckhaus der Ehrets mehr und mehr zugewachsen. Carola Ehret störte das nicht, sie brauchte nicht viel Helligkeit um sich.
    »Woher - hast du gesagt - kennst du diese Besucher?«, fragte sie und füllte die Zuckerdose mit dem weißen Kandis auf. »Aus dem Gericht?«
    »Ich kenne nur den einen, und den auch nur flüchtig«, antwortete ihr Mann. »Er hat mich nach der letzten Verhandlung im Hauptbahnhof angesprochen...«
    Für einen Augenblick schwieg Ehret und überlegte. Berndorf hatte ihn am frühen Nachmittag angerufen und um ein Gespräch gebeten; eigentlich gab es überhaupt keinen Grund, warum er ihn zum Tee eingeladen hatte, jedenfalls keinen, den er Carola hätte erklären können. Schon gar nicht wollte er ihr sagen, dass der Besucher ein »Ermittler« sei - es war ja auch zu unsinnig. Was war bei Carola und ihm zu ermitteln?
    »Ich hab damals nur kurz mit ihm gesprochen, und er schien kein unangenehmer Mensch zu sein.«
    Carola sagte nichts, sondern sah ihn nur an und rückte die Silberbrosche zurecht, die den kleinen Stehkragen ihrer anthrazitblauen Bluse zusammenhielt. Er kannte diese Geste: sie bedeutete, dass er schließlich wissen müsse, was er tue. Es war eine Stufe unter der erklärten Missbilligung.
    »Und der andere Gast?«
    »Ein Begleiter oder sein Fahrer. Ich hätte es albern gefunden, so jemanden draußen warten zu lassen.«
    Carola Ehret ging wieder in die Küche, um Gebäck zu holen. Früher hatte sie oft Kuchen gebacken, sie hatte es gerne getan. Aber jetzt gab es keinen Grund mehr dazu. Doch einen Notvorrat
vom Konditor hatte sie immer im Haus, es wäre für sie unvorstellbar gewesen, einem Besucher nichts anbieten zu können.
    Auch wenn die Ehrets - in Wirklichkeit - schon lange keine Besucher mehr hatten.
    »Da kommt schon jemand«, rief sie aus der Küche, und Siegfried Ehret ging zur Haustür, um zu öffnen. In der Einfahrt stand eine schwarze Limousine, der Mann, der ihn im Ulmer Hauptbahnhof angesprochen hatte, stieg auf der Beifahrerseite aus und grüßte - höflich zwar, aber plötzlich empfand Ehret so etwas wie eine Bedrohung, als sei dieser grauhaarige, ein wenig steif wirkende Mann mit der schwarzen Mappe unter dem Arm ein Unheilsbote, aber welches Unheil sollte ihm noch kommen! Vom Fahrersitz wuchtete sich ein zweiter Mann und schob sich umständlich aus dem Wagen, als sei die Tür eigentlich zu niedrig und zu eng für ihn, Ehret unterdrückte ein Stirnrunzeln. Er hatte diesen Mann schon an den ersten Verhandlungstagen im Gerichtssaal gesehen, ein Götze des Zuhörens, sich vom Unglück anderer nährend und jedenfalls jemand, den er kaum zum Tee eingeladen hätte. Nun war es zu spät.
    Er begrüßte die beiden Ankömmlinge, zuerst Berndorf, dann den Menschen, der Walleter hieß, führte sie ins Wohnzimmer und stellte sie Carola vor, die sich zu seiner Erleichterung weder Erstaunen noch Befremden anmerken ließ.
    »Ich bitte sehr«, sagte Berndorf, »meine geradezu überfallsartige Bitte um ein Gespräch zu entschuldigen...«
    »Es gibt nichts zu entschuldigen«, hörte Ehret seine Frau antworten, »wir haben gern Gäste zum Tee...«
    Sie bat die beiden Besucher an den gedeckten Tisch in der Essnische und wies ihnen ihre Plätze an. Bevor er sich setzte, blieb Berndorf vor einer großen gerahmten Fotografie stehen, die an der Wand hing. Vor einem dunklen, verwitterten Gemäuer mit eingelassenen Grabsteinen stand eine junge Frau mit langem blondem Haar, sie trug Jeans und einen Parka und hatte selbst einen Fotoapparat umhängen, offenbar hatte der Fotograf sie in dem Augenblick aufgenommen, als sie sich von einem der Epitaphe abgewandt hatte und zu ihm aufsah...

    »Das ist Fiona«, sagte Siegfried Ehret, »als sie für ihre

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