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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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ganzen bedauerlichen Falles gewesen ist...« Englin machte eine Kunstpause, als wollte er sichergehen, dass die Journalisten auch mit dem Notieren nachkommen.
    Das ist die blödeste Geschichte, die ich seit langem gehört habe, dachte Frenzel. Wenn dieser durchgeknallte Rauschgiftbulle hinter der jungen Frau her ist, was will er dann in Ulm, einen alten unschmackhaften Anwalt umbringen? Und was hätte der Anwalt Eisholm auf einem der hinteren Ulmer Bahnsteige zu suchen gehabt, damit er dort vor den Zug gestoßen werden kann?
    »Nur...« - Englin hatte die Pause für ausreichend befunden und zwinkerte kurz mit dem linken Auge - »Günter S. war leider nicht bereit, mit uns zu reden. Er zog eine Schusswaffe, ist aber von meinem Kollegen Ivo Dorpat - wie soll ich sagen? -, er ist von ihm außer Gefecht gesetzt worden.«
    »Wie?«, wollte der Kollege vom Lügenblatt wissen.
    Dorpat reckte nur grimmig das Kinn.
    »Unser Kollege Ivo Dorpat war einmal deutscher Polizeimeister im Boxen, Halbschwergewicht, nicht wahr?« Dorpat nickte. »Und in Konstanz - das war doch ein rechter Aufwärtshaken?«
    Wieder nickte Dorpat.
    »Und hat sich der Festgenommene schon geäußert?«, fragte einer der Münchner Journalisten.
    Kaum, dachte Frenzel. Nicht nach einem rechten Aufwärtshaken des deutschen Polizeimeisters im Halbschwergewicht.
    »Der Mann ist nach Angaben der Ärzte noch nicht vernehmungsfähig«, sagte Englin und musste plötzlich heftig mit dem linken Auge zwinkern.

    Nicht vernehmungsfähig! Das wird er wohl auch noch eine Weile bleiben, dachte Frenzel und räusperte sich, denn nun wollte auch er einmal eine Frage stellen.
    »Sagen Sie« - bevor sich Frenzel zu Ende geräuspert hatte, hatte schon ein Kollege mit gepflegter Diktion und lang gewelltem blondem Haar das Wort ergriffen - »der Herr Eisholm hat in dem Prozess Morny doch immer wieder darauf hingewiesen, dass der Mann, mit dem Fiona Morny zuletzt zusammen war, nie gefunden worden ist. Da Sie jetzt gerade auf der Erfolgswelle schwimmen - darf man fragen, ob sich in dieser anderen Angelegenheit nicht auch etwas tut?«
    »Das ist...«, sagte Englin und wusste schon nicht mehr weiter, »also der Fall Morny, der ist ja jetzt vor Gericht...« Er blickte um sich, aber plötzlich hatten sowohl Ivo Dorpat als auch Wilma Rohm sehr unbeteiligte, fast abwesende Gesichter aufgesetzt.
    »Also, wenn da noch zusätzliche Ermittlungen zu führen wären«, fiel es Englin ein, »dann müsste die Staatsanwaltschaft uns dazu anweisen.«
    »Können Sie denn ausschließen«, hakte ein zweiter Münchner Journalist nach, »dass dieser Große Unbekannte inzwischen gefunden worden ist?«
    Englin blickte Hilfe suchend zu Dorpat. »Ausschließen«, sagte der, »können wir natürlich nichts. Nur haben wir selbst keine neuen Erkenntnisse. Definitiv nicht.«
    »Verstehe ich Sie recht«, der Münchner machte einen weiteren Versuch, »Erkenntnisse gibt es schon. Nur Sie haben sie nicht?«
    »Sie verstehen mich nicht richtig«, antwortete Dorpat. »Wir sind gar nicht befugt, hier irgendwelche Auskünfte zu geben …«
     
     
     
    Als Sigmund Vierneisel schon fast ganz unten angelangt war, hatte er einer kinderlosen Witwe eine kaputte Biedermeier-Standuhr - ein Erbstück - reparieren können. Das war nicht weiter schwierig gewesen, aber die Witwe fand ihn anstellig auch für anderes, was stehen geblieben war, und nahm ihn bei sich
zuhause auf. Seither wohnte Vierneisel - ein großer, gebeugter Mann mit weißen Haaren und weißen buschigen Augenbrauen - in der kleinen Stadt Erbach, unweit von Ulm und im Schatten eines Schlosses gelegen, und hatte im Dachgeschoss des Hauses sogar eine eigene bescheidene Werkstatt einrichten können.
    Auch an diesem Montagnachmittag saß er dort, die Lupe im Auge, und begutachtete die goldene Taschenuhr, die ihm ein Kunde gebracht hatte. Der Kunde war vom Uhrmacher in der Ulmer Platzgasse geschickt worden, für die kleinen tüfteligen Arbeiten hatten die keine Zeit mehr. Dabei hatte die Uhr nur einen Schlag abbekommen, der Auftrag war nicht weiter schwierig, nur der Kunde war ihm verdächtig, ein grauer ruhiger Mensch mit dem Geruch von Leuten, die Ärger machen können. Jemand vom Finanzamt?
    »Schönes, solides Stück«, lobte er. »Ohne Firlefanz und Schnickschnack. Vor einem halben Jahrhundert mussten die Leute nicht so tun, als wollten sie damit den Mount Everest besteigen. Darf man fragen...?«
    »Ich hab sie von einem meiner Großväter geerbt«, sagte der

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