Beim Blick in deine Augen
der Junge das sagte, ließ unwillkommene Erinnerungen in ihm aufsteigen – und diesmal konnte Constantine sie nicht ausblenden. Sicher war es idyllisch gewesen, hier aufzuwachsen. Aber die Schönheit von Livinos und die Möglichkeit, zu schwimmen und zu angeln und ohne Angst auf Bäume zu klettern – das waren alles Geschenke, die jedes andere Kind auf der Insel auch bekam. Er hätte nicht der Sohn eines reichen Mannes sein müssen, um die sorglosen Freiheiten einer Kindheit in diesem Teil von Griechenland genießen zu können.
Aber vor allem war es eine einsame Zeit für Constantine gewesen. Materiell gut versorgt, aber emotional vernachlässigt von einer Mutter, die trotz ihrer körperlichen Anwesenheit niemals für ihn da war. Seine wunderschöne, zerbrechliche Mutter, von der sein Vater so fasziniert gewesen war – die alle um sich herum aufgezehrt hatte und wenig zurückgab. Die nicht gewusst hatte – oder nicht in der Lage war zu lernen –, wie sie das willensstarke Baby lieben sollte, das sie zur Welt gebracht hatte.
„Sieh mal aus dem Fenster, Alex“, sagte Constantine sanft, um sich von seinen unwillkommenen Erinnerungen abzulenken. „Gleich kannst du das Haus meines Vaters sehen.“
Laura bemerkte, dass er nicht „mein Haus“ gesagt hatte. Bedeutete das etwas? Doch dann stockte ihr der Atem, als plötzlich der schönste Ort, den sie jemals gesehen hatte, vor ihren Augen auftauchte.
Umgeben von Orangen- und Zitronenbäumen lag die Villa groß und beeindruckend da und dominierte die Landschaft, obwohl es ihr irgendwie auch gelang, damit zu verschmelzen. Sie befand sich fast ganz oben auf einem Hügel, und der Ausblick war atemberaubend. Die saphirfarbene See reflektierte glitzernd das Licht, und als Laura die Autotür öffnete, konnte sie den Duft von Pinien und Zitronen riechen und ungewohntes, aber wunderschönes Vogelgezwitscher hören.
„Wir sind da“, sagte Constantine, während er Alex die Hand hinhielt, um ihm beim Aussteigen zu helfen. Der Junge ergriff sie völlig selbstverständlich.
Wie leicht es Alex fällt, ihm zu vertrauen, dachte Laura. Sie wusste, dass sie um ihres Sohnes willen dankbar dafür sein sollte. Und doch konnte sie den eifersüchtigen Stich nicht ignorieren, der sie durchfuhr.
Die riesige Eingangstür öffnete sich, und eine Frau mittleren Alters kam ihnen entgegen, als hätte sie dort auf ihre Ankunft gewartet. Über ihrem blumenbedruckten Kleid trug sie eine Schürze.
„Das ist Demetra“, stellte Constantine vor. „Sie kümmert sich um das Personal – und ist deine direkte Vorgesetzte, Laura. Oh, und keine Sorge – sie spricht ausgezeichnet Englisch, deshalb wirst du keine Schwierigkeiten haben, ihre Anweisungen zu befolgen.“
Anweisungen. Vorgesetzte. Seine Worte brachten Laura auf den Boden der Tatsachen zurück, und ihr wurde mit Schrecken bewusst, dass die Privilegien, die sie bis zu diesem Moment genießen durfte, nicht länger existierten. Sie würde ein Mitglied des Personals sein. Aber das wolltest du doch, erinnerte sie sich selbst gequält. Du hast darauf bestanden.
„Kalimera“ , sagte sie mit einem nervösen Lächeln zu der älteren Frau. Sie hatte während der vergangenen Woche jeden Abend in einem Wörterbuch gelesen, aber die griechische Sprache war schwer und komplex, und es war ihr nicht gelungen, mehr als ein paar ganz einfache Ausdrücke zu behalten.
Demetras Blick glitt kurz und prüfend über Laura, und sie sagte schnell etwas auf Griechisch zu Constantine, was dieser mit einer gedehnten Bemerkung beantwortete. Das schien die ältere Frau zufrieden zu stellen, denn sie nickte und erwiderte Lauras Lächeln.
„ Kalimera , Laura. Herzlich Willkommen in der Villa Thavmassios.“ Ihr Blick wurde weich, als er auf Alex dunkle Locken fiel. „Und das ist Ihr Junge?“
„Ja, das ist Alex.“ Laura stieß Alex ganz leicht an, und zu ihrer Erleichterung trat er vor und schüttelte die Hand der griechischen Frau, genauso, wie sie es ihm beigebracht hatte. Demetra stieß einen verzückten Laut aus, bevor sie ihn fest in die Arme schloss, und Laura musste ein Lächeln unterdrückten, als sie sah, wie Alex ihr einen hilfesuchenden Blick zuwarf.
„Wir werden Kinder aus dem Dorf einladen, mit denen du spielen kannst, Alex“, sagte Demetra. „Und mein eigener Sohn hat gerade Semesterferien – er ist ein sehr guter Sportstudent. Er wird dir Schwimmen und Angeln beibringen. Würde dir das gefallen?“
„Ja, sehr“, sagte Alex
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