Beim ersten Om wird alles anders
Adresse Europas“- im nahegelegenen Kurort Bad Lippspringe einlädt. Der Klub ist, so teilt das Plakat mit, 4000 Quadratmeter groß, Stammgäste können Zehnerkarten erwerben, und es gibt ermäßigte Eintrittspreise für Rentner, Behinderte und Taxifahrer.
Dieses Angebot für einen sicher ungewöhnlichen Wellnessaufenthalt in Ostwestfalen lässt mich völlig kalt, denn ich habe mich längst auf einen vergleichsweise reizarmen Aufenthalt in der Region und auf ein eher freudloses Ambiente eingestellt. Gemäß Beschreibung in der Seminarbroschüre erwartet mich mit dem Tagungshotel ein wunderschön direkt am Länderpark „Silvatikum“im idyllischen Teutoburger Wald gelegener, energetischer Kraftort mit einer besonderen Atmosphäre. Damit dies auch so bleibt, herrschen dort aber strenge Regeln. Die Gäste sollen nicht nur Hausschuhe und biologisch abbaubare Körperpflegeprodukte mitbringen, sondern ihnen wird auch ausdrücklich der Verzicht auf Alkohol, Rauchen, Drogen, Fleisch und Fisch abverlangt. Fast wundert man sich, dass nicht auch noch explizite Verhaltensregeln zum Thema Sex aufgestellt werden. Immerhin ahnt man bei der Information, dass von 22.45 Uhr bis 6.45 Uhr die Nachtruhe einzuhalten ist, in dieser Zeit die Außentüren verschlossen sind und im Haus geschwiegen wird, dass die Nächte wohl eher ruhig zu werden versprechen.
Dem Taxifahrer, der mich vom Flughafen Paderborn 45 Minuten lang eher gemächlich in seinem Großraumtaxi durch den Teutoburger Wald chauffiert, ist die Adresse bekannt.
„Ach, das ist doch da, wo die ganzen Yoga-Fritzen sind. Kürzlich habe ich da welche hingefahren und erst eine Woche später wieder abgeholt. Keine Ahnung, was die da so lange gemacht haben.“Ich versuche, ihm zu erklären, dass man dort auch Ausbildungen zum Yoga-Lehrer machen kann. Aber er winkt ab. „Yoga? Das sind doch die mit den verrückten Verrenkungen? Hören Sie mir damit auf, mit Bewegung hab ich es nicht so. Ich gucke die Sportschau im Fernsehen, das reicht.“
Immerhin, Taxifahren kann er, und so erreichen wir nach einer Fahrt durch kaum enden wollende grüne Wälder und Wiesen endlich Bad Meinberg, dessen größtes kulturelles Ereignis des Sommers laut einer Mitteilung am Ortsschild das vom örtlichen Reit- und Fahrverein veranstaltete große Reit- und Springturnier im Waldstadion zu werden verspricht.
Bis zu diesem Event bin ich aber schon wieder weg, nun heißt es erst einmal ankommen. Und dabei hilft mir der Anblick an der Rezeption der ehemaligen Kurklinik. Dort liegt aus nicht näher ersichtlichen Gründen eine mit dicken Wollsocken und indisch anmutenden Gewändern bekleidete junge Frau auf dem Fußboden, die Beine, man ahnt es, weit gespreizt, den Kopf bis auf einen kleinen herzförmigen Rest im Nacken kahlrasiert und tätowiert, auf der Stirn aufgeklebt drei türkisfarbene Steine.
Ich checke ein und bekomme drei hart gebügelte Laken in die Hand gedrückt und den Rat: „Du musst dein Bett selber beziehen, das ist nicht einfach, probier es einfach ein paarmal, dann wird es schon klappen.“Ich gehe auf das Zimmer, das gehobenem Jugendherbergsstil entspricht. Nach zehn Minuten bin ich schweißüberströmt, aber das Bett ist bezogen. Dann setze ich mich in den
Zengarten dieser in eine Yoga-Zentrale umgebauten ehemaligen Kurklinik und genieße die Sonne. Danach schaue ich mich in dem weitläufigen Gelände um. Ich entdecke die Kantine. Es ist Mittagszeit. Bei den Getränken habe die Wahl zwischen Ingwerwasser und Ayurvedawasser. Brr, Cola Light, mein Lieblingsgetränk, führen die hier wohl nicht, seltsam, ist doch rein vegetarisch. Dann greife ich tief in den bereitgestellten Futtertrog, heraus kommt eine Portion Dinkeleintopf, die ich nach zwei Bissen sofort in die Abteilung für Bioabfall befördere. Wenn ich nicht schon Vegetarier wäre, hier würde ich es sicher nicht werden. Ich begnüge mich mit trockenem Vollkornbrot. Warum muss vegetarisches Essen so schlecht sein, denke ich mir, als ich im Garten mein Ingwerwasser schlürfe und dabei von einem kleinen Jungen, der im Garten spielt, Papa genannt werde. Und warum sehen Vegetarier eigentlich meistens so freudlos aus? Ich etwa auch? Darüber werde ich bei Gelegenheit mal nachdenken. Überhaupt die anderen Seminarteilnehmer. Sie haben es offensichtlich gerne etwas bequemer. Ich sehe viele übergewichtige Menschen in Pluderhosen und noch mehr in Croc-Schuhen. Und wie um dem Klischee in jeder Hinsicht Genüge zu tun, dringt aus dem
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