Beim Leben meiner Schwester
entschuldigte sich nicht dafür. Es ist schon irgendwie absurd, daà diese Faszination schon durch die Beziehung mit mir nachlieÃ, daà sie von dem Moment an, ab dem sie mich auch liebte und genauso abhängig von mir war wie ich von ihr, kein richtig freier Geist mehr war.
Und ich wollte wirklich nicht derjenige sein, der ihr diese Eigenschaft wegnahm, niemals.
Nach Julia gab es nicht besonders viele Frauen. Jedenfalls keine, deren Namen ich mir gemerkt hätte. Es war viel zu kompliziert, die Fassade aufrechtzuerhalten. Statt dessen entschied ich mich für den steinigen Weg und lieà mich nur auf One-Night-Stands ein. Aus reiner Notwendigkeit â medizinisch und emotional betrachtet â bin ich ein ziemlich geschickter Ausbrecher geworden.
Doch in dieser Nacht hätte ich ein halbes dutzendmal das Weite suchen können. Während Julia schlief, habe ich mir überlegt, wie ich es anstelle: ein Zettel auf dem Kopfkissen, eine Nachricht mit ihrem kirschroten Lippenstift auf dem Deck hinterlassen. Und doch war der Drang, es zu tun, nicht annähernd so stark wie das Bedürfnis, noch eine Minute länger zu warten, noch eine Stunde länger.
Judge liegt eng zusammengerollt auf dem Kombüsentisch und hebt den Kopf. Er winselt ein biÃchen, und ich verstehe vollkommen. Ich befreie mich aus Julias dichtem Haarwald und stehe auf. Sie schiebt sich auf die warme Stelle, die ich zurückgelassen habe. Ich finde das erregend, Ehrenwort.
Doch statt dem Impuls nachzugeben und im Gericht anzurufen, um mich krank zu melden und die Anhörung verschieben zu lassen, damit ich den ganzen Tag in der Koje verbringen kann, ziehe ich mich an und gehe an Deck. Ich möchte unbedingt vor Anna im Gericht sein, und ich muà mich duschen und umziehen. Ich lasse Julia meine Autoschlüssel da â bis zu mir ist es nur ein kurzes Stück zu FuÃ. Erst als Judge und ich auf dem Weg nach Hause sind, wird mir klar, daà ich anders als sonst, wenn ich bei einer Frau war, für Julia nicht irgendwas Nettes dagelassen habe, irgend etwas, das das Gefühl des Verlassenseins beim Aufwachen mildert.
Ich frage mich, ob es ein Versehen war. Oder ob ich die ganze Zeit darauf gewartet habe, daà sie zurückkommt, damit ich erwachsen werden kann.
Als Judge und ich am Familiengericht eintreffen, müssen wir uns durch den Pulk von Reportern kämpfen, die das groÃe Ereignis angelockt hat. Sie halten mir Mikros vors Gesicht und treten Judge unabsichtlich auf die Pfoten. Wenn Anna sieht, was für ein SpieÃrutenlaufen sie erwartet, nimmt sie garantiert ReiÃaus.
Kaum bin ich im Gebäude, winke ich Vern herbei. »Am besten Sie holen ein paar Sicherheitsleute«, sage ich zu ihm. »Die Meute da drauÃen zerreiÃt uns sonst noch die Zeugen bei lebendigem Leib.«
Dann sehe ich Sara Fitzgerald, die bereits wartet. Sie trägt ein Kostüm, das die Plastikhülle von der Reinigung bestimmt seit zehn Jahren nicht verlassen hat, und hat das Haar streng mit einer Spange im Nacken zusammengesteckt. Sie hat keine Aktentasche dabei, sondern einen Rucksack. »Guten Morgen«, sage ich ruhig.
Die Tür fliegt auf und Brian kommt herein, blickt von Sara zu mir. »Wo ist Anna?«
Sara macht einen Schritt auf ihn zu. »Wieso? Ist sie denn nicht bei dir?«
»Sie war schon weg, als ich um fünf von einem Einsatz zurückkam. Sie hat mir einen Zettel hingelegt, daà wir uns hier treffen.« Er wirft einen Blick zur Tür. »Ich wette, sie ist wieder abgehauen.«
Wieder ertönt das Geräusch, als würde ein Siegel aufgebrochen, und gleich darauf kommt Julia auf einer Woge aus Rufen und Fragen hereingesurft. Sie streicht sich das Haar nach hinten, blickt sich um, entdeckt mich und wirkt plötzlich hilflos.
»Ich gehe sie suchen«, sage ich.
Sara widerspricht. »Nein, ich mach das.«
Julia blickt uns beide an. »Wen suchen?«
»Anna ist nicht da«, erkläre ich.
»Nicht da?« sagt Julia. »HeiÃt das, sie ist verschwunden?«
»Nein, nein.« Und das ist nicht gelogen. SchlieÃlich könnte Anna sich ja auch einfach nur verspätet haben.
Mir wird klar, daà ich sogar weiÃ, wo ich suchen muà â im selben Moment wie Sara auch. Sie überläÃt mir die Führung. Julia packt mich am Arm, als ich zur Tür gehe. Sie drückt mir meine Autoschlüssel in die Hand. »Kapierst du jetzt, warum das nicht
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