Beim Leben meiner Schwester
gerade ein Junges bekam, und drum herum stand ein ganzer Trupp Mutterschafe und paÃte auf.
Ich bin zwar kein Tierarzt, aber ich bin auch nicht beschränkt oder so, und wenn ein Lebewesen dermaÃen rumbrüllt, dann läuft da irgendwas nicht so, wie es laufen sollte. Und tatsächlich, bei dem armen Schaf hingen hinten zwei kleine Hufe raus. Es lag auf der Seite und keuchte, verdrehte ein trübes, schwarzes Auge in meine Richtung und gab dann einfach auf.
Von wegen! Auf meiner Patrouille würde mir keins von den Biestern wegsterben, und sei es auch nur deshalb, weil die Faschisten von der Farmleitung mich bestimmt dazu verdonnern würden, das blöde Schaf zu vergraben. Also kniete ich mich hin, packte die winzigen, glitschigen Hufe und zog, während das Mutterschaf schrie wie jede Mutter, der man das Kind aus dem Leib reiÃt.
Das Lamm kam raus, seine GliedmaÃen falteten sich auseinander wie die Teile an einem Schweizer Messer. Ãber den Kopf hatte es einen silbrigen Sack, der sich anfühlte wie die Innenseite der Wange, wenn man mit der Zunge an ihr entlangfährt. Es atmete nicht.
Ich dachte natürlich nicht im Traum daran, bei einem Schaf Mund-zu-Maul-Beatmung zu machen, aber ich rià den Hautsack mit den Fingernägeln auf und zog ihn vom Hals des Lämmchens weg. Und siehe da, das reichte schon. Eine Minute später klappte es seine Wäscheklammerbeine auf und fing an, nach seiner Mutter zu blöken.
In dem Sommer wurden, glaub ich, zwanzig Lämmer geboren. Jedes Mal, wenn ich an dem Gatter vorbeikam, konnte ich meinen Schützling unter den anderen erkennen. Er sah nicht anders aus als sie, aber er bewegte sich mit ein biÃchen mehr Schwung. Irgendwie schien immer die Sonne auf seinem Fell zu glänzen. Und wenn ich es mal schaffte, ihn so zu beruhigen, daà ich ihm in die Augen sehen konnte, dann waren die Pupillen milchig weiÃ, ein sicheres Zeichen, daà er lange genug auf der anderen Seite gewesen war, um zu wissen, was ihm entging.
Ich erzähle Ihnen das, weil ich, als Kate sich endlich in diesem Krankenhaus bewegt und die Augen aufschlägt, sehen kann, daà auch sie schon einen Fuà auf der anderen Seite hat.
»Oh Gott«, sagt Kate schwach, als sie mich erkennt. »Ich bin also doch in der Hölle gelandet.«
Ich beuge mich auf meinem Stuhl vor und verschränke die Arme. »Quatsch, Schwesterchen, du weiÃt doch, Unkraut vergeht nicht.« Ich stehe auf, küsse sie auf die Stirn und lasse meine Lippen ein biÃchen länger dort liegen. Wie können Mütter auf diese Art und Weise merken, ob ihr Kind Fieber hat? Ich merke nur eines: drohenden Abschied. »Wie fühlst du dich?«
Sie lächelt mich an, aber ihr Gesicht wirkt verzerrt. »Prima«, sagt sie. »Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?«
Du wirst nicht mehr lange hier sein, denke ich, sage es aber nicht. »Ich war in der Nähe. AuÃerdem arbeitet in dieser Schicht eine scharfe Schwester.«
Kate muà laut lachen. »Ach, Jess. Du wirst mir fehlen.«
Sie sagt das so leichthin, daà es uns, glaube ich, beide überrascht. Ich setze mich auf die Bettkante und streiche über die kleinen Runzeln in der Thermodecke. »WeiÃt du â«, fange ich aufmunternd an, aber sie legt eine Hand auf meinen Arm.
»Nicht.« Dann kommt Leben in ihre Augen, nur für einen Moment. »Vielleicht werde ich ja wiedergeboren.«
»Zum Beispiel als Marie Antoinette?«
»Nein, es sollte schon irgendwas in der Zukunft sein. Findest du das verrückt?«
»Nein«, gebe ich zu. »Ich denke, wir bewegen uns wahrscheinlich alle immer nur im Kreis.«
»Und als was kommst du dann wieder?«
»Als Aas.«
Kate verzieht das Gesicht, und irgendein Gerät piept, und ich kriege Panik. »Soll ich jemanden rufen?«
»Nein, du genügst mir«, antwortet Kate, und bestimmt meint sie es nicht so, aber ich hab auf einmal das Gefühl, als hätte ich einen Blitz verschluckt.
»Hast du Angst?« bricht es aus mir heraus. »Vor dem Sterben?«
Kate sieht mich an, und ein Lächeln huscht über ihren Mund. »Ich werdâs dir sagen.« Dann schlieÃt sie die Augen. »Ich ruh mich nur mal eine Sekunde aus«, bringt sie noch hervor, und dann ist sie wieder eingeschlafen.
Es ist nicht fair, aber das weià Kate. Man muà kein ganzes langes Leben gelebt haben, um zu erkennen, daà wir
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