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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Viele von ihnen, die sonst gar keine Sonne zu sehen bekämen, essen hier draußen ihren Lunch.
    Ich will gerade fragen, ob alles in Ordnung ist, als Kate sagt: »Hast du Angst vor dem Sterben?«
    Taylor schüttelt den Kopf. »Eigentlich nicht. Aber manchmal denke ich an meine Beerdigung. Ob die Leute was Nettes sagen werden über mich. Ob welche weinen werden.« Er zögert. »Ob überhaupt welche kommen.«
    Â»Ich komme«, verspricht Kate.
    Taylor senkt den Kopf zu Kate, und sie neigt sich näher zu ihm, und mir wird klar, daß ich ihnen deshalb gefolgt bin. Ich wußte, daß ich das hier sehen würde, und wie Brian wollte auch ich noch ein Bild mehr von unserer Tochter, eines, das ich zwischen den Fingern werde drehen können wie ein Stück Meerglas. Taylor hebt ihren Mundschutz an, und ich weiß, ich sollte ihn aufhalten, ich weiß, ich müßte, aber ich tu’s nicht. Ich möchte, daß sie das erlebt.
    Es ist ein wunderschöner Anblick, als sie sich küssen: diese Alabasterköpfe eng aneinander, glatt wie Statuen – eine optische Täuschung, ein Spiegelbild, das sich selbst zurückwirft.
    Als Kate für ihre Stammzellentransplantation ins Krankenhaus muß, ist sie ein emotionales Wrack. Dabei macht ihr weniger die Flüssigkeit zu schaffen, die in ihren Katheter läuft, als die Tatsache, daß Taylor sich seit drei Tagen nicht mehr bei ihr gemeldet und auch nicht zurückgerufen hat. »Habt ihr euch gestritten?« frage ich, und sie schüttelt den Kopf. »Hat er gesagt, daß er irgendwohin muß? Vielleicht war es ein Notfall«, sage ich. »Vielleicht hat es gar nichts mit dir zu tun.«
    Â»Vielleicht aber doch«, wendet Kate ein.
    Â»Dann rächst du dich am besten, indem du schnell wieder so gesund wirst, daß du ihm ordentlich die Meinung sagen kannst«, stelle ich fest. »Bin gleich wieder da.«
    Auf dem Flur spreche ich Steph an, Kates Lieblingskrankenschwester, die gerade ihren Dienst angetreten hat. Ehrlich gesagt, bin ich genauso verblüfft wie Kate über Taylors Rückzug. Er wußte schließlich, daß sie wieder ins Krankenhaus mußte.
    Â»Taylor Ambrose«, frage ich Steph. »War der heute hier?«
    Sie sieht mich an und blinzelt.
    Â»Großer Junge, süßer Typ. Hat sich an meine Tochter rangemacht«, sage ich im Scherz.
    Â»Ach, Sara … Ich hab wirklich gedacht, jemand hätte es Ihnen gesagt«, antwortet Steph. »Er ist heute morgen gestorben.«
    Ich verschweige es Kate, einen Monat lang. Bis zu dem Tag, als Dr. Chance sagt, daß Kate das Krankenhaus wieder verlassen kann, als Kate sich bereits eingeredet hat, daß sie Taylor gar nicht braucht. Ich kann nicht mal ansatzweise wiedergeben, welche Worte ich finde; keines ist groß genug, um das Gewicht abzufedern, die Wucht zu lindern. Ich erzähle, daß ich zu Taylor nach Hause gefahren bin und mit seiner Mutter gesprochen habe. Daß sie in meinen Armen zusammengebrochen ist und gesagt hat, sie habe mich ja anrufen wollen, es aber einfach nicht fertiggebracht, weil sie mich so beneidet hat. Sie hat mir erzählt, daß Taylor im siebten Himmel gewesen war, als er von dem Ball nach Hause kam. Dann war er mitten in der Nacht in ihr Schlafzimmer gekommen, mit 41 Grad Fieber. Es war eine Vireninfektion oder vielleicht auch eine Pilzinfektion, und zuerst hatte seine Lunge versagt und dann sein Herz, und die Ärzte hatten ihn nach dreißig Minuten Kampf schließlich aufgeben müssen.
    Aber ich erzähle Kate nicht alles, was Jenna Ambrose gesagt hat – ich verschweige, daß sie hinterher zu ihrem Sohn ging, der nicht mehr ihr Sohn war, und ihn anstarrte. Daß sie fünf Stunden lang bei ihm saß, mit dem sicheren Gefühl, er würde jeden Augenblick wieder aufwachen. Daß sie im Haus noch immer Geräusche von oben hört und dann meint, Taylor ginge in seinem Zimmer umher, und daß diese halbe Sekunde, die ihr geschenkt wird, ehe sie sich wieder an die Wahrheit erinnert, der einzige Grund für sie ist, morgens aufzustehen.
    Â»Kate«, sage ich. »Es tut mir so leid.«
    Kates Gesicht verzieht sich. »Aber ich habe ihn geliebt«, erwidert sie, als wäre das genug.
    Â»Ich weiß.«
    Â»Und du hast es mir nicht gesagt.«
    Â»Ich konnte nicht. Weil ich dachte, dann würdest du vielleicht selbst aufhören zu kämpfen.«
    Sie schließt die Augen,

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