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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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die Pause um ist.«
    Julias Stimme folgt mir zur Tür. »Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
    Â»Ist auch besser so«, sage ich. Ich drehe mich nicht um, damit ich ihr Gesicht nicht sehen muß.
    Als Richter DeSalvo die Sitzung um drei Uhr auf den nächsten Morgen vertagt, weil er zu seinem wöchentlichen Termin beim Chiropraktiker muß, gehe ich mit Anna hinaus in die Eingangshalle, wo wir feststellen, daß ihr Vater nicht mehr da ist. Sara blickt sich erstaunt um. »Vielleicht hat er einen Einsatz«, sagt sie. »Anna, ich –«
    Aber ich lege eine Hand auf Annas Schulter. »Ich bring dich zur Feuerwache.«
    Im Auto ist sie schweigsam. Ich halte auf dem Parkplatz der Wache und lasse den Motor laufen. »Hör mal«, sage ich, »du hast das vielleicht nicht gemerkt, aber der erste Tag heute ist prima für uns gelaufen.«
    Â»Kann sein.«
    Sie steigt ohne ein weiteres Wort aus, und Judge springt nach vorn auf den frei gewordenen Beifahrersitz. Anna geht auf die Wache zu, schwenkt dann aber nach links ab. Ich will schon zurücksetzen, doch dann mache ich wider besseres Wissen den Motor aus, lasse Judge im Auto allein und folge ihr um das Gebäude herum.
    Sie steht da wie eine Statue, das Gesicht zum Himmel gewandt. Was soll ich tun, sagen? Ich war nie ein Vater, ich kann ja nicht mal richtig auf mich selbst aufpassen.
    Doch dann ergreift Anna das Wort. »Haben Sie schon mal was getan, von dem Sie wußten, daß es falsch ist, obwohl es sich richtig angefühlt hat?«
    Ich denke an Julia. »Ja.«
    Â»Manchmal hasse ich mich selbst«, murmelt Anna.
    Â»Ich mich auch«, gestehe ich, »manchmal.«
    Das überrascht sie. Sie sieht mich an und dann wieder zum Himmel. »Sie sind da oben. Die Sterne. Auch wenn wir sie nicht sehen können.«
    Ich schiebe die Hände in die Taschen. »Früher hab ich mir jeden Abend einen Stern ausgesucht und mir was gewünscht.«
    Â»Was denn?«
    Â»Seltene Baseballkarten für meine Sammlung. Einen Golden Retriever. Junge, hübsche Lehrerinnen.«
    Â»Mein Dad hat gesagt, daß ein paar Astronomen eine neue Stelle entdeckt haben, an der Sterne entstehen. Aber es dauert 2500 Jahre, bis wir sie sehen können.« Sie dreht sich zu mir um. »Verstehen Sie sich gut mit Ihren Eltern?«
    Ich überlege, ob ich sie anlügen soll, doch dann schüttele ich den Kopf. »Irgendwann im Laufe der Jahre hab ich damit aufgehört, so sein zu wollen wie sie.«
    Die Sonne gleitet über ihre milchige Haut, bescheint ihren Hals. »Ich verstehe«, sagt Anna. »Auch Sie waren unsichtbar.«

DIENSTAG
    Leicht wird ein kleines Feuer ausgetreten,
Das, erst geduldet, Flüsse nicht mehr löschen.
    WILLIAM SHAKESPEARE,
    â€ºKönig Heinrich VI.‹

CAMPBELL
    Brian Fitzgerald ist meine Trumpfkarte. Wenn der Richter erfährt, daß zumindest ein Elternteil von Anna ihre Entscheidung akzeptiert, nicht mehr als Spenderin für ihre Schwester zu fungieren, wird es für ihn kein allzu großer Schritt mehr sein, ihren Antrag auf Entlassung aus der elterlichen Gewalt zu befürworten. Wenn Brian tatsächlich vor Richter DeSalvo erklären würde, daß er weiß, daß auch Anna Rechte hat und daß er bereit ist, ihr beizustehen – dann kann Julia in ihrem Bericht schreiben, was sie will, es wird keine Rolle mehr spielen. Und was noch besser ist, Annas Aussage ist dann lediglich noch eine Formalität.
    Als Brian früh am nächsten Morgen mit Anna eintrifft, trägt er seine Captain-Uniform. Ich setze ein Lächeln auf und erhebe mich, gehe zusammen mit Judge auf sie zu. »Morgen«, sage ich. »Alles klar?«
    Brian sieht Anna an. Dann sieht er mich an. Er hat eine Frage auf den Lippen, das sehe ich ihm an, aber er scheint sie sich mit aller Macht zu verkneifen.
    Â»He«, sage ich zu Anna, »tust du mir einen Gefallen? Lauf doch bitte mit Judge mal schnell die Treppen rauf und runter, sonst wird er nachher vor Gericht so unruhig.«
    Anna schüttelt den Kopf. »Ich geh nirgendwohin. Ihr wollt ja bloß über mich reden.«
    In diesem Moment betritt Sara Fitzgerald das Gebäude. Sie hastet Richtung Gerichtssaal, doch als sie Brian bei mir stehen sieht, hält sie inne. Dann wendet sie sich langsam von ihrem Mann ab und geht hinein.
    Brian Fitzgeralds Augen folgen seiner Frau, auch nachdem die Tür sich hinter ihr geschlossen hat.

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