Beim Leben meiner Schwester
geschlafen.
Ich tat es, weil ich dachte, wenn es jemanden anderen gab, würde ich Campbell nicht mehr auf meiner Haut riechen oder ihn auf der Innenseite meiner Lippen schmecken. Ich tat es, weil ich mich innerlich so hohl gefühlt hatte, daà ich fürchtete, ich würde einfach wegfliegen.
Ich hörte diesen Jungen, dessen Namen ich mir nicht mal gemerkt hatte, stöhnen und spürte, wie er sich in mir bewegte. Ich war so leer und so weit weg. Und plötzlich wuÃte ich, was aus all den verlorenen Ballons wird: Es sind die Geliebten, die uns aus den Händen gleiten, die leeren Augen, die an jedem Nachthimmel aufsteigen.
»Als Sie mich vor zwei Wochen zur Verfahrenspflegerin ernannten«, sage ich zu dem Richter, »und ich anfing, mir die Mechanismen in dieser Familie anzuschauen, hatte ich zunächst den Eindruck, daà es für Anna das beste wäre, sie in medizinischen Fragen aus der elterlichen Gewalt zu entlassen. Doch dann wurde mir klar, daà ich auf die gleiche Weise zu meiner Einschätzung gelangt war wie jeder in dieser Familie â nämlich nur aufgrund der physiologischen Auswirkungen, nicht aufgrund der psychologischen. Es ist leicht zu entscheiden, was für Anna medizinisch richtig ist. Fazit: Das Spenden von Organen und Blut hat für Anna keinen medizinischen Nutzen, sondern dient ausschlieÃlich dazu, das Leben ihrer Schwester zu verlängern.«
Ich sehe Campbells Augen blitzen. Diese Feststellung hat ihn überrascht. »Aber es ist schwieriger, eine echte Lösung zu finden, denn auch wenn es keinen medizinischen Nutzen für Anna hat, als Spenderin für ihre Schwester zu dienen, ist ihre eigene Familie nicht fähig, diesbezüglich informierte Entscheidungen zu treffen. Kates Krankheit ist sozusagen ein führerlos dahinrasender Zug, und jeder reagiert jeweils von einer Krise zur nächsten, ohne sich langfristig zu überlegen, wie der Zug zurück in den Bahnhof gebracht werden kann. Und um bei dem Bild zu bleiben, der Druck ihrer Eltern ist gleichsam eine Weiche in den Schienen â Anna ist weder mental noch physisch stark genug, eigene Entscheidungen zu fällen oder auch nur zu wissen, was sie wirklich will.«
Campbells Hund steht auf und beginnt zu winseln. Das Geräusch lenkt mich ab, und ich hebe den Blick. Campbell schiebt Judges Nase weg, ohne mich aus den Augen zu lassen.
»Meines Erachtens gibt es in der Familie Fitzgerald niemanden, der unvoreingenommen über Annas medizinische Versorgung entscheiden kann«, gebe ich zu. »Ihre Eltern nicht und auch Anna nicht.«
Richter DeSalvo blickt stirnrunzelnd zu mir herab. »Also, Ms. Romano«, fragt er, »wie lautet Ihre Empfehlung an dieses Gericht?«
CAMPBELL
Sie wird den Antrag nicht ablehnen. Das ist mein erster unglaublicher Gedanke â daà mein Fall doch noch nicht verloren ist, auch nicht nach Julias Aussage. Mein zweiter Gedanke ist, daà Julia sich, was diesen Fall und seine Auswirkungen auf Anna angeht, ebenso hin und her gerissen fühlt wie ich, nur daà sie es allen offenbart hat.
Ausgerechnet jetzt muà mir Judge auf die Nerven gehen. Er beiÃt in mein Jackett und fängt an zu ziehen, aber ich werde den Teufel tun und eine Unterbrechung beantragen, ehe Julia fertig ist.
»Ms. Romano«, fragt DeSalvo, »wie lautet Ihre Empfehlung an dieses Gericht?«
»Ich habe keine«, sagt sie leise. »Es tut mir leid. Das ist das erste Mal, daà ich als Verfahrenspflegerin nicht in der Lage bin, eine Empfehlung auszusprechen, und ich weiÃ, daà so etwas eigentlich inakzeptabel ist. Aber da sind auf der einen Seite Brian und Sara Fitzgerald, die im Leben ihrer beiden Töchter immer nur Entscheidungen aus Liebe getroffen haben. Wenn man es so betrachtet, können es eigentlich keine falschen Entscheidungen gewesen sein â selbst wenn es nicht mehr die für beide Töchter richtigen Entscheidungen sind.«
Sie blickt Anna an, die sich neben mir ein biÃchen gerader, stolzer hinsetzt. »Auf der anderen Seite ist da Anna, die sich nach dreizehn Jahren zum ersten Mal wehrt â auch wenn das vielleicht bedeutet, daà sie ihre geliebte Schwester verliert.« Julia schüttelt den Kopf. »Hier ist ein salomonisches Urteil vonnöten, Euer Ehren. Aber ich soll kein Baby in zwei Hälften zerteilen. Ich soll eine Familie auseinanderreiÃen.«
Als ich ein Ziehen an meinem anderen Arm
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