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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hätte aufgehört. Er dreht die Musik laut, schlägt mit der flachen Hand auf das Lenkrad. Erst als er an der Ausfahrt Upper Darby vom Highway abbiegt, macht er das Radio aus und wird langsamer. »Und, ist sie ausgerastet?«
    Â»Sie hat Dad von der Arbeit weggeholt.«
    In unserer Familie gilt es als Todsünde, meinen Vater von der Arbeit wegzuholen. In seinem Job geht es immer um Notfälle, welche Krise könnten wir im Vergleich dazu schon haben? »Das letzte Mal, als sie ihn von der Arbeit weggeholt hat«, sagt Jesse zu mir, »war Kates Krankheit gerade festgestellt worden.«
    Â»Na toll.« Ich verschränke die Arme. »Da fühl ich mich doch gleich viel besser.«
    Jesse lächelt bloß. Er bläst einen Rauchring. »Schwesterchen«, sagt er, »willkommen auf der dunklen Seite.«
    Sie fegen herein wie ein Wirbelwind. Kate schafft es kaum, mich anzusehen, ehe mein Vater sie nach oben in unser Zimmer schickt. Meine Mutter knallt ihre Handtasche hin, dann ihre Autoschlüssel und kommt dann auf mich zu. »Also schön«, sagt sie mit fast überschnappender Stimme. »Was ist los?«
    Ich räuspere mich. »Ich hab mir einen Anwalt genommen.«
    Â»Offensichtlich.« Meine Mutter greift sich das schnurlose Telefon und hält es mir hin. »Und jetzt sieh zu, daß du ihn wieder loswirst.«
    Es kostet mich ungeheure Anstrengung, aber ich schaffe es, den Kopf zu schütteln und das Telefon auf die Couchkissen fallen zu lassen.
    Â»Anna, in Gottes Namen –«
    Â»Sara.« Die Stimme meines Vaters ist eine Axt. Sie fährt zwischen uns, und wir springen auseinander. »Wir sollten Anna Gelegenheit geben, die Sache zu erklären. Da waren wir uns doch einig, nicht?«
    Ich senke den Kopf. »Ich will es nicht mehr.«
    Meine Mutter braust erneut auf. »Ach nein, weißt du was, Anna, ich will es auch nicht. Und Kate erst recht nicht. Aber wir haben nun mal keine andere Wahl.«
    Aber ich habe eine andere Wahl. Genau deshalb muß ich diesen Schritt tun.
    Meine Mutter baut sich vor mir auf. »Du bist zu einem Anwalt gegangen und hast ihm weisgemacht, es ginge allein um dich – aber das stimmt nicht. Es geht um uns . Um uns alle  –«
    Die Hände meines Vaters schließen sich um ihre Schultern und drücken zu. Als er sich vor mich hinhockt, rieche ich Rauch. Er ist von dem Feuer bei anderen Leuten direkt in diesen Brand geraten, und das und nichts anderes tut mir leid. »Anna, Schätzchen, wir wissen, du denkst, daß du das tun mußtest –«
    Â» Ich denke das nicht«, fällt ihm meine Mutter ins Wort.
    Mein Vater schließt die Augen. »Sara. Halt den Mund, verdammt.« Dann blickt er wieder mich an. »Können wir uns unterhalten, nur wir drei, ohne daß ein Anwalt das für uns tun muß?«
    Mir treten Tränen in die Augen, als er das sagt. Aber ich habe gewußt, daß es so kommen würde. Deshalb hebe ich das Kinn und lasse den Tränen gleichzeitig freien Lauf. »Nein, Daddy, ich kann nicht.«
    Â»Um Gottes willen, Anna«, sagt meine Mutter. »Ist dir überhaupt klar, was das für Folgen hat?«
    Mein Kehle schließt sich wie der Verschluß einer Kamera, so daß Luft und Entschuldigungen durch einen nadeldünnen Tunnel müssen. Ich bin unsichtbar , denke ich und merke zu spät, daß ich es ausgesprochen habe.
    Meine Mutter ist so schnell, daß ich es nicht einmal kommen sehe. Doch sie schlägt mich so fest ins Gesicht, daß mein Kopf nach hinten schnellt. Der Abdruck ihrer Hand brandmarkt mich noch, als er längst verblaßt ist. Falls irgendwer noch Zweifel hatte: Scham hat fünf Finger.
    Einmal, als Kate acht und ich fünf war, hatten wir uns gezankt, und ich wollte daraufhin ein eigenes Zimmer. Aber unser Haus hatte nur noch ein zweites Kinderzimmer, und das war Jesses, ich konnte also nirgendwohin. Und so beschloß Kate, die ältere und klügere von uns, unsere Zimmer in zwei Hälften zu teilen. »Welche Seite willst du?« fragte sie diplomatisch. »Du darfst sie dir sogar aussuchen.«
    Ich wollte natürlich die Hälfte, in der mein Bett schon stand. Außerdem befanden sich in meiner Hälfte die Kiste mit den Barbiepuppen und die Regale mit unseren Malund Bastelsachen. Kate wollte sich einen Markierstift von dort holen, aber ich sagte: »Der ist auf meiner Seite.«
    Â»Dann gib mir einen«,

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