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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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würde mich nicht wundern, wenn unser Brandstifter wieder zuschlägt.«
    Â»Brian?« sagte sie. »Wie sah Kate aus, was meinst du?«
    Besser als Anna , dachte ich, aber danach hatte sie nicht gefragt. Sie wollte, daß ich die gelbe Tönung von Kates Haut mit gestern verglich. Sie wollte, daß ich die Art interpretierte, wie sie die Ellbogen auf den Tisch aufstützte, zu matt, um den Körper aufrecht zu halten.
    Â»Kate sieht richtig gut aus«, log ich, weil wir das füreinander tun.
    Â»Vergiß nicht, ihnen gute Nacht zu sagen, bevor du gehst«, sagte Sara, und sie drehte sich um und stellte die Tabletten zusammen, die Kate vor dem Schlafengehen nimmt.
    Es ist still heute abend. Die Wochen haben ihren ganz eigenen Rhythmus, und die Hektik und das Chaos der Nachtschicht am Freitag oder Samstag unterscheidet sich kraß von einem langweiligen Sonntag oder Montag. Ich habe inzwischen einen Riecher dafür: Heute ist eine von den seltenen Nächten, wo ich mich hinlege und sogar etwas Schlaf finde.
    Â»Daddy?« Die Dachluke öffnet sich, und Anna kommt hindurchgeklettert. »Red hat mir gesagt, du bist hier oben.«
    Ich erstarre sogleich. Es ist zehn Uhr. »Was ist passiert?«
    Â»Nichts. Ich … wollte dich bloß besuchen.«
    Als die Kinder klein waren, kam Sara ständig mit ihnen vorbei. Sie spielten um die abgestellten riesigen Löschzüge herum. Sie schliefen oben auf meiner Pritsche ein. Manchmal, wenn es im Sommer sehr heiß war, brachte Sara eine alte Decke mit, und wir breiteten sie hier auf dem Dach aus, legten uns darauf, die Kinder zwischen uns, und schauten zu, wie es dunkel wurde.
    Â»Weiß Mom, wo du bist?«
    Â»Sie hat mich hergebracht.« Anna kommt auf Zehenspitzen zu mir. Höhen verträgt sie nicht so gut, und um das Betondach herum ist nur ein zehn Zentimeter hoher Rand. Sie kneift ein Auge zu und beugt sich zum Teleskop. »Was kannst du sehen?«
    Â»Vega«, sage ich. Ich nehme Anna genauer in Augenschein, was ich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr getan habe. Sie ist nicht mehr gerade wie ein Stock, sie bekommt die ersten Rundungen. Sogar ihre Bewegungen – wie sie die Haare hinters Ohr steckt, ins Teleskop späht – haben eine gewisse Anmut, wie die einer Frau. »Willst du über irgendwas reden?«
    Sie beißt sich auf die Unterlippe und blickt auf ihre Turnschuhe. »Vielleicht hast du ja Lust, mit mir zu reden«, schlägt Anna vor.
    Also setze ich sie auf meine Jacke und zeige zu den Sternen. Ich erzähle ihr, daß Vega im Sternbild Lyra ist, der Leier, die Orpheus gehörte. Ich kann nicht gut Geschichten erzählen, aber diejenigen, die zu den Sternbildern gehören, kenne ich. Ich erzähle ihr von Orpheus, dem Sohn des Sonnengottes, der mit seiner Musik Tiere bezauberte und Felsen erweichte. Der seine Frau Eurydike so sehr liebte, daß er sie dem Tod nicht überlassen wollte.
    Als ich fertig bin, liegen wir flach auf dem Rücken. »Kann ich heute nacht bei dir bleiben?« fragt Anna.
    Ich gebe ihr einen Kuß oben auf den Kopf. »Na klar.«
    Â»Daddy«, flüstert Anna, als ich gerade sicher bin, daß sie eingeschlafen ist, »hat es geklappt?«
    Ich brauche eine Sekunde, bis ich begreife, daß sie Orpheus und Eurydike meint.
    Â»Nein«, gebe ich zu.
    Sie stößt einen Seufzer aus. »Wundert mich nicht«, sagt sie.

DIENSTAG
    Meine Kerze an beiden Enden brennt;
    Die Nacht überdauert sie nicht;
    Doch Feinde und Freunde, die ihr mich kennt –
    Sie gibt ein schönes Licht!
    EDNA ST. VINCENT MILLAY,
    â€ºFirst Fig‹, A Few Figs from Thistles

ANNA
    Früher hab ich mir vorgestellt, ich wäre in dieser Familie nur auf der Durchreise auf dem Weg in die richtige. So abwegig ist das gar nicht – wo Kate meinem Dad wie aus dem Gesicht geschnitten ist und Jesse meiner Mom und ich eine Ansammlung von rezessiven Genen bin. Ich saß in der Krankenhauscafeteria bei Gummipommes und rotem Wackelpudding und schaute von einem Tisch zum anderen und malte mir aus, meine echten Eltern säßen vielleicht nur ein Tablett von mir entfernt. Sie würden vor Freude weinen, daß sie mich endlich gefunden haben, und auf der Stelle mit mir auf unser Schloß in Monaco oder Rumänien fliegen und mir ein Dienstmädchen geben, das nach frischer Bettwäsche riechen würde, und ich bekäme einen Berner Sennenhund und ein eigenes

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