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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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zurückgehe, sehe ich das Mädchen. Sie hat noch immer das etwas aufgeschossene, kälbchenartige Aussehen einer Vorpubertierenden und springt über jeden Ritz im Bürgersteig. »Hi«, sage ich, als sie nahe genug ist. »Bist du Anna?«
    Ihr Kinn schnellt hoch. »Kann sein.«
    Â»Ich bin Julia Romano, deine Verfahrenspflegerin. Hat Richter DeSalvo dir erklärt, was das ist?«
    Anna kneift die Augen zusammen. »In Brockton ist mal ein Mädchen von einem gekidnappt worden, der gesagt hat, ihre Mom hätte ihn gebeten, sie abzuholen und dahin zu fahren, wo ihre Mom gearbeitet hat.«
    Ich krame in meiner Tasche und nehme meinen Führerschein und einen Packen Papiere heraus. »Hier«, sage ich. »Bedien dich.« Sie schielt zu mir hoch und dann auf das häßliche Führerscheinfoto. Sie liest sich den Antrag auf Entlassung aus der elterlichen Gewalt durch, von dem ich mir am Familiengericht eine Kopie besorgt habe, bevor ich mich auf den Weg hierher gemacht habe. Falls ich eine psychopathische Killerin bin, hab ich mich bestens vorbereitet. Aber eigentlich zolle ich Anna bereits Anerkennung, weil sie so mißtrauisch ist: Sie ist kein Kind, das sich kopfüber in irgendwelche Situationen stürzt. Wenn sie so gründlich darüber nachdenkt, ob sie mit mir mitgehen kann, dann muß sie auch gründlich darüber nachgedacht haben, ob sie sich aus dem Netz ihrer Familie lösen soll.
    Sie gibt mir die Sachen zurück. »Wo sind denn die anderen alle?« fragt sie.
    Â»Ich weiß nicht. Ich dachte, du könntest mir das sagen.«
    Annas Blick gleitet beunruhigt zur Haustür. »Hoffentlich ist nichts mit Kate.«
    Ich lege den Kopf schräg und betrachte dieses Mädchen, dem es schon jetzt gelungen ist, mich in Erstaunen zu versetzen. »Hast du ein bißchen Zeit? Ich würde mich gern mit dir unterhalten«, sage ich.
    Im Roger Williams Zoo bleiben wir zuerst bei den Zebras stehen. Sie waren schon immer meine Lieblinge unter den Tieren aus Afrika. Auf Elefanten könnte ich verzichten. Schimpansen übersehe ich immer – aber Zebras faszinieren mich. Sie gehören zu den wenigen Dingen, die nicht aus dem Rahmen fallen würden, wenn wir das Glück hätten, in einer Welt zu leben, die nur Schwarz und Weiß kennt.
    Wir kommen an Blauduckern und Bongos vorbei und an etwas, das sich Nacktmull nennt. Ich gehe oft mit Kindern in den Zoo, wenn ich ihren Fällen zugeteilt worden bin. Im Zoo sind sie meistens zugänglicher, als wenn ich mich mit ihnen im Gericht oder sogar bei Burger King vis-à-vis an einen Tisch setze. Sie können die Gibbons beobachten, die sich wie Olympiaturner von Ast zu Ast schwingen, und merken dabei gar nicht, daß sie auf einmal anfangen, von zu Hause zu erzählen.
    Aber Anna ist älter als alle Kinder, mit denen ich bisher gearbeitet habe, und nicht gerade begeistert von unserem Zoobesuch. Ich sehe ein, daß es keine ideale Entscheidung war. Ich hätte mit ihr in ein Shoppingcenter oder ins Kino gehen sollen.
    Wir schlendern über die gewundenen Wege des Zoos, und Anna redet nur, wenn sie sich zu einer Reaktion genötigt sieht. Sie beantwortet höflich meine Fragen zum Gesundheitszustand ihrer Schwester. Sie sagt, daß ihre Mutter tatsächlich als Anwältin die Gegenseite vertritt. Sie bedankt sich bei mir, als ich ihr ein Eis kaufe.
    Â»Was machst du denn gerne?« frage ich. »So zum Spaß.«
    Â»Hockey spielen«, sagt Anna. »Ich war Torhüterin.«
    Â»Warst?«
    Â»Je älter man wird, desto weniger verzeiht einem der Trainer, wenn man ein Spiel verpaßt.« Sie zuckt die Achseln. »Ich hab keine Lust, eine ganze Mannschaft im Stich zu lassen.«
    Interessante Sichtweise, denke ich. »Spielen deine Freundinnen denn immer noch Hockey?«
    Â»Freundinnen?« Sie schüttelt den Kopf. »Du kannst nun mal niemanden zu dir nach Hause einladen, wenn deine Schwester Ruhe braucht. Und du wirst auch kein zweites Mal zu einer Pyjamaparty eingeladen, wenn du morgens um zwei von deiner Mutter abgeholt wirst, um ins Krankenhaus zu fahren. Ist wahrscheinlich schon ’ne Weile her, daß Sie in der Schule waren, aber die meisten Leute glauben nun mal, daß so Aussetzer ansteckend sind.«
    Â»Und mit wem redest du dann?«
    Sie sieht mich an. »Kate.« Dann fragt sie, ob ich ein Handy dabeihabe.
    Ich hole eins aus der Tasche und sehe zu, wie sie die

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