Beim Leben meiner Schwester
aus gestellt, Anna.«
Es gibt Momente, da weià man lange, lange Sekunden vorher, wie weh etwas gleich tun wird. »Ich weià nicht, was los ist«, sage ich.
»Und wieso glaubst du dann, du wärst in der Lage, für dich selbst Entscheidungen zu treffen?« Meine Mutter steht so abrupt auf, daà der Stuhl scheppernd umkippt. »Wenn du es so willst, Anna, können wir auch gleich damit anfangen.« Ihre Stimme ist dick und rauh wie ein Seil, bevor sie mich verläÃt.
Vor etwa drei Monaten habe ich mir einmal Kates Make-up ausgeborgt. Na schön, ausgeborgt trifft es nicht ganz, ich habâs geklaut. Ich hatte noch kein eigenes. Ich sollte erst mit fünfzehn welches kriegen. Aber es war ein Wunder geschehen, und Kate konnte ich nicht fragen, weil sie nicht da war, und verzweifelte Zeiten verlangen verzweifelte MaÃnahmen.
Das Wunder war über 1,70 groÃ, mit Haaren wie goldener Mais und einem Lächeln, bei dem mir schwindelig wurde. Sein Name war Kyle, und er war frisch aus Idaho hergezogen und saà in der Klasse genau hinter mir. Er wuÃte nichts über mich oder meine Familie, deshalb hatte es bestimmt nichts mit Mitleid zu tun, als er mich fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm ins Kino zu gehen. Wir sahen uns den neuen âºSpider-Manâ¹ an, das heiÃt, er guckte ihn sich an. Ich überlegte die ganze Zeit, wie es kam, daà elektrische Spannung über den winzigen Abstand zwischen meinem und seinem Arm springen konnte.
Als ich nach Hause kam, schwebte ich noch immer zwanzig Zentimeter über dem Boden, weshalb Kate mich auch überrumpeln konnte. Sie warf mich auf mein Bett und hielt mich an den Schultern fest. »Du Dieb«, beschuldigte sie mich. »Du warst an meinen Schminksachen, ohne zu fragen.«
»Du nimmst dir auch dauernd Sachen von mir. Vor zwei Tagen hast du dir mein blaues Sweatshirt geborgt.«
»Das ist was ganz anderes. Ein Sweatshirt kann man waschen.«
»In deinen Adern dürfen meine Bakterien ruhig herumschwimmen, aber auf deinem blöden Lipgloss nicht?« Kate lockerte ihren Griff und ihre Augen leuchteten. »Wie heiÃt er?«
»Wovon redest du?«
»Anna, wenn du dich schminkst, muà es dafür einen Grund geben.«
»Du nervst«, sagte ich.
Kate lächelte mich an. Dann griff sie mir mit einer Hand unter den Arm und kitzelte mich so heftig, daà wir vom Bett rutschten. Ich bekam eine Hand frei und kitzelte sie auch. »Anna, aufhören«, keuchte Kate lachend. »Ich kann nicht mehr, ich sterbe.«
Diese Worte genügten. Ich rià die Hände von ihr, als hätte ich mich verbrannt. Wir blieben Schulter an Schulter zwischen unseren Betten liegen, starrten schwer atmend an die Decke und taten beide so, als hätte das, was sie gesagt hatte, nicht ganz so mitten ins Schwarze getroffen.
Im Auto streiten meine Eltern. Vielleicht wäre es besser, wir nehmen uns einen richtigen Anwalt , sagt mein Vater, und meine Mutter erwidert, Ich bin eine richtige An wältin .
Aber Sara , sagt mein Vater, ich will damit nur sagen â Was willst du damit sagen, Brian? herrscht sie ihn an. Was? Daà irgendein Mann im Anzug, den du noch nie gesehen hast, Anna besser verstehen könnte als ihre eigene Mutter? Und dann sagt mein Vater den Rest der Fahrt über kein Wort mehr.
Erschrocken sehe ich auf der Treppe des Gerichtsgebäudes Fernsehkameras. Ich bin sicher, daà sie wegen irgendeiner groÃen Sache gekommen sind. Um so verblüffter bin ich, als mir eine Reporterin mit wallendem Haar ein Mikro vors Gesicht hält und mich fragt, warum ich meine Eltern verklagen will. Meine Mutter schiebt die Frau weg. »Meine Tochter äuÃert sich nicht dazu«, sagt sie immer wieder, und als ein Mann von mir wissen will, ob mir überhaupt klar ist, daà ich das erste Designerbaby von Rhode Island bin, fürchte ich eine Sekunde lang, daà sie ihm ins Gesicht schlägt.
Seit ich sieben bin, weià ich, wie ich entstanden bin, und es war keine groÃe Sache für mich. Erstens einmal, als meine Eltern es mir erzählten, fand ich die Vorstellung, daà sie Sex miteinander hatten, ekelhafter als den Gedanken, in einer Petrischale erschaffen worden zu sein. Zweitens nahmen zu der Zeit schon unzählige Frauen Fruchtbarkeitshormone und brachten Siebenlinge zur Welt, weshalb meine Geschichte so originell gar nicht mehr war. Aber ein Designerbaby? Von wegen. Wenn meine
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