Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
Eltern schon so einen Aufwand mit mir betrieben haben, dann hätten sie mir auch gleich die Gene für Gehorsam, Demut und Dankbarkeit einpflanzen können.
    Mein Vater sitzt neben mir auf der Bank, die Hände zwischen den Knien gefaltet. Im Richterzimmer liefern sich meine Mutter und Campbell Alexander ein Wortgefecht. Hier auf dem Korridor sind wir unnatürlich leise, als hätten die beiden alle nur möglichen Worte mitgenommen und uns keine mehr dagelassen.
    Ich höre eine Frau fluchen, und dann kommt Julia um die Ecke. »Anna. Entschuldige die Verspätung, ich bin einfach nicht an den Medien vorbeigekommen. Alles in Ordnung?«
    Ich nicke, und dann schüttele ich den Kopf.
    Julia geht vor mir in die Hocke. »Möchtest du, daß deine Mutter vorübergehend auszieht?«
    Â» Nein! « Es ist mir total peinlich, aber meine Augen sind glasig vor Tränen. »Ich hab’s mir anders überlegt. Ich zieh die Sache zurück. Ich will das nicht mehr.«
    Sie blickt mich einen langen Augenblick an, nickt dann. »Ich rede mit dem Richter.«
    Als sie geht, konzentriere ich mich darauf, Luft in meine Lungen zu befördern. So vieles, was ich bisher instinktiv konnte, kostet mich jetzt ungeheure Kraft – Sauerstoff einsaugen, Ruhe bewahren, das Richtige tun. Ich spüre die Augen meines Vaters schwer auf mir und blicke ihn an.
    Â»War das dein Ernst?« fragt er. »Daß du die Sache zurückziehen willst?«
    Ich antworte nicht. Ich rühre mich keinen Millimeter.
    Â»Wenn du dir nämlich nicht ganz sicher bist, wäre ein bißchen Abstand vielleicht gar nicht schlecht. Ich meine, in meinem Zimmer in der Wache steht noch ein zweites Bett.« Er reibt sich den Nacken. »Wir würden ja nicht richtig ausziehen oder so. Nur eben mal …« Er blickt mich an.
    Â»â€¦ durchatmen«, sage ich, und genau das tue ich dann.
    Mein Vater steht auf und hält mir die Hand hin. Wir gehen aus dem Gerichtsgebäude hinaus, Seite an Seite. Die Reporter stürzen sich wieder auf uns, aber diesmal prallen ihre Fragen an mir ab. Meine Brust fühlt sich an, als wäre sie voller Glitter und Helium, so wie damals, als ich klein war und in der Dämmerung auf den Schultern meines Vaters reiten durfte, als ich wußte, daß ich nur die Hände hochzuhalten und die Finger zu spreizen brauchte wie ein Netz, um die kommenden Sterne zu fangen.
    CAMPBELL
    Vielleicht gibt es eine Hölle für selbstverliebte Anwälte, aber bestimmt stehen alle Vertreter unserer Zunft gern im Rampenlicht. Als mich vor dem Familiengericht eine Horde Journalisten erwartet, verteile ich Kommentare wie Bonbons und sorge dafür, daß die Kameras auf mich gerichtet bleiben. Ich sage die richtigen Sachen, nämlich daß dieser Fall nicht nur ungewöhnlich ist, sondern auch ungemein schmerzhaft für alle Beteiligten. Ich deute an, daß sich die Entscheidung des Richters auf die Rechte von Minderjährigen landesweit sowie auf die Stammzellenforschung auswirken kann. Dann streiche ich das Jackett meines Armani-Anzugs glatt, ziehe an Judges Leine und erkläre, daß ich jetzt mit meiner Mandantin sprechen müsse.
    Im Gebäude fängt Vern Stackhouse meinen Blick auf und gibt mir das Daumen-hoch-Zeichen. Ich hatte den Deputy schon etwas früher getroffen und ihn gefragt, ob seine Schwester, eine Journalistin beim »Providence Journal«, heute auch kommen würde. »Das weiß ich leider nicht«, erwiderte er, »aber die Anhörung … schlägt ja hohe Wellen.«
    In der Extraecke in der Hölle steht vermutlich ein Thron für diejenigen aus meiner Zunft, die versuchen, aus unserer Pro-Bono-Arbeit Kapital zu schlagen.
    Minuten später sind wir im Richterzimmer. »Mr. Alexander.« Richter DeSalvo hebt das Blatt mit dem Antrag auf eine einstweilige Verfügung. »Würden Sie mir wohl verraten, warum Sie diesen Antrag gestellt haben, wo ich den Punkt gestern schon angesprochen hatte?«
    Â»Ich hatte ein erstes Gespräch mit der Verfahrenspflegerin, Euer Ehren«, erwidere ich. »Im Beisein von Ms. Romano hat Sara Fitzgerald zu meiner Mandantin gesagt, es handele sich um ein Mißverständnis und die Sache werde sich von selbst klären.« Ich blicke verstohlen zu Sara hinüber, deren Kiefernmuskulatur angespannt ist, die aber ansonsten keinerlei Regung zeigt. »Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen Ihre

Weitere Kostenlose Bücher