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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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overdressed war wie ein Eskimo in Bali. »Am Weihnachtsmorgen dann haben meine Eltern mich bei den Nachbarn abgeholt. Sie sahen ganz schön fertig aus, alle beide, aber als wir nach Hause kamen, lagen Geschenke unter dem Baum. Ich war ganz aus dem Häuschen und hab auch eins mit meinem Namen drauf gefunden, aber als ich es auspackte, war es so ein kleines Auto zum Aufziehen – eher was für einen Dreijährigen als für mich, und zufällig wußte ich auch, daß solche Autos in dem Krankenhausladen verkauft wurden. Genau wie alle anderen Geschenke, die ich in dem Jahr bekam. Nicht zu fassen.« Ich drücke die Zigarette auf meiner Jeans aus. »Über den Baum haben sie nie auch nur ein Wort verloren«, sage ich. »So ist das, in dieser Familie aufzuwachsen.«
    Â»Glauben Sie, für Anna ist es genauso?«
    Â»Nein. Anna ist auf dem Radarschirm meiner Eltern, weil sie in dem Plan, den sie für Kate haben, eine tragende Rolle spielt.«
    Â»Wie entscheiden Ihre Eltern, wann Anna Kate medizinisch helfen soll?« fragt sie.
    Â»Aus Ihrem Mund klingt es so, als gäbe es da einen Entscheidungsprozeß. Als gäbe es eine Entscheidungs freiheit .«
    Sie hebt den Kopf. »Ist das nicht so?«
    Ich antworte nicht darauf, weil das eine rhetorische Frage ist, wie sie im Buche steht, und blicke zum Fenster hinaus. Im Garten vor dem Haus ist noch immer der Stumpf von der Tanne zu sehen. Keiner in dieser Familie kaschiert je seine Fehler.
    Als ich sieben war, hatte ich irgendwie die Idee, mich bis nach China durchzugraben. Konnte doch gar nicht so schwer sein, dachte ich mir – einfach schnurgerade nach unten buddeln. Ich holte einen Schaufel aus der Garage und fing an, ein Loch zu graben, in das ich knapp hineinpaßte. Jeden Abend deckte ich es mit einer alten Sandkastenplane ab, für den Fall, daß es regnete. Vier Wochen lang arbeitete ich an dem Loch, Steine kratzten mir Kampfnarben in die Arme und Wurzeln schnappten nach meinen Knöcheln.
    Womit ich nicht gerechnet hatte, waren die hohen Wände, die um mich herum wuchsen, und der Bauch des Planeten, heiß unter meinen Turnschuhen. Ich hatte mich geradewegs nach unten gegraben und doch dabei völlig die Orientierung verloren. In einem Tunnel muß man seinen Weg ausleuchten, und das war noch nie meine Stärke.
    Als ich losbrüllte, war mein Vater in Sekunden zur Stelle, obwohl es mir wie mehrere Leben vorkam. Er kletterte in die Grube, hin und her gerissen zwischen meiner strammen Leistung und meiner Blödheit. »Die Wände hätten einstürzen und dich begraben können!« sagte er und hob mich auf festen Boden.
    Erst aus diesem Blickwinkel begriff ich, daß mein Loch doch nicht kilometertief war. Meinem Vater reichte es nämlich gerade mal bis zu den Schultern.
    Dunkelheit ist eben relativ.
    BRIAN
    Anna braucht keine zehn Minuten, um sich in meinem Zimmer auf der Wache einzurichten. Während sie ihre Sachen in eine Schublade räumt und ihre Haarbürste neben meine auf die Kommode legt, gehe ich in die Küche, wo Paulie das Abendessen macht. Die Jungs warten auf eine Erklärung.
    Â»Sie und ich werden ein Weilchen hier wohnen«, sage ich. »Wir müssen ein paar Dinge klären.«
    Caesar blickt von einer Zeitschrift auf. »Fährt sie auch mit auf Einsätze?«
    Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Vielleicht lenkt es sie ein bißchen ab, wenn sie sich wie eine Auszubildende fühlt. »Ja, könnte gut sein.«
    Paulie dreht sich um. Er macht heute abend Fajitas mit Rindfleisch. »Alles in Ordnung, Captain?«
    Â»Jaja, Paulie, danke, daß du fragst.«
    Â»Wenn jemand ihr was tun will«, sagt Red, »kriegt er es ab jetzt mit uns vieren zu tun.«
    Die anderen nicken. Ich frage mich, was sie wohl denken würden, wenn sie von mir erführen, daß Sara und ich diejenigen sind, die Anna »was tun wollen«.
    Ich lasse die Jungs wieder allein und gehe zurück in mein Zimmer, wo Anna auf dem zweiten Bett sitzt, die Beine unter den Körper geklemmt. »He«, sage ich, aber sie antwortet nicht. Dann sehe ich, daß sie Kopfhörer auf hat und sich mit Gott weiß was die Ohren volldröhnt.
    Sie sieht mich, stellt die Musik aus und zieht den Kopfhörer runter, so daß er ihr wie eine enge Kette um den Hals liegt. »He.«
    Ich setze mich auf die Bettkante und blicke sie an. »Und? Willst du, ähm, irgendwas

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