Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
Nase auf den Fliesenboden.
Dann wandte sich ein Kopf nach dem anderen zu Abbie um. Vor Angst drehte sich ihr der Magen, und Gallenflüssigkeit stieg ihr im Hals auf, als sie sah, wie sich der Gesichtsausdruck der Menschen veränderte, von Erstaunen und Verwirrung über Misstrauen und dann hin zu der Erkenntnis, dass all dies logischerweise etwas mit ihr zu tun haben musste.
Das verblüffte Schweigen wich einer zunehmenden Aufregung, einem immer lauter werdenden Stimmengemurmel. Einige Schaulustige halfen Des wieder auf die Beine, und es tauchten Taschentücher auf, um sein Nasenbluten zu stillen und das Blut vom Boden zu wischen.
»Hat schon jemand die Polizei gerufen?« Das kam von der unentschlossenen Solargartenleuchtenfrau in einer schrillen Stimme voller Panik. »Jemand muss die Polizei rufen!«
Frisches Blut spritzte auf das graukarierte Hemd von Des, während er heftig den Kopf schüttelte. »Nein, nein, bitte nicht.«
Abbie spürte, wie immer mehr Menschen sie mit einer unterschiedlich ausgeprägten Mischung aus Vorwurf und Unglauben anstarrten. Die Reaktion von Des bestätigte, was sie zuvor nur vermutet hatten.
Magda sagte: »Abbie? Worum geht es hier? Was läuft hier?«
»Ich … ich weiß es nicht.« Abbies Wangen waren so heiß, dass es sich anfühlte, als würde sie in Flammen stehen.
Die buschigen Augenbrauen von Huw hoben und senkten sich, während er Des stützte. »Brauchst du einen Krankenwagen, Kumpel?«
»Nein, sicher nicht, es ist alles in Ordnung.«
Abbie versuchte zu schlucken, aber ihr Mund war zu ausgetrocknet. Ihre Hände zitterten. Sie musste mit Tom reden, musste ihm alles erklären.
»Komm schon, Kumpel, machen wir dich mal sauber.« Huw hatte jetzt die Kontrolle übernommen und führte Des zur Treppe.
»Äh … ich gehe Tom suchen …« War das ihre Stimme, die ihm das quer durch den Laden zugerufen hatte? Es klang nicht nach ihr.
Des drehte sich um und nickte. Wie auf Automatikpilot wankte Abbie zur Tür. Irgendwie musste sie das regeln, musste erklären, dass sie nicht …
»Ich komme mit!« Magda nahm sie am Arm.
»Ist schon gut, das musst du nicht.«
»Was willst du denn tun? Etwa nach Hause laufen? Komm schon, ich fahre dich.«
Daheim in Channings Hill stand Toms staubiger, silbergrauer Transporter vor dem Haus.
»Ich komme mit hinein.« Magda klang fest entschlossen.
»Nein, bitte nicht.« Das Letzte, was Abbie brauchte, war Publikum.
»Hat er dich jemals geschlagen?«
»Nein!«
Magda meinte finster: »Es gibt für alles ein erstes Mal. Er hat Des früher ja auch nie geschlagen.«
»So ist Tom nicht.« Sie holte tief Luft und öffnete die Haustür.
Überall Bügelwäsche. Das Wohnzimmer war voll davon. Es hing sogar ein elfenbeinfarbenes Hochzeitskleid an der Vorhangstange vor dem Fenster. Weit und breit keine Georgia, Gott sei Dank. Nur Tom, der mit dem Rücken zu ihr stand, mit verschränkten Armen. Sein ganzer Körper strahlte Zorn aus.
Davor hatte sie sich seit Monaten gefürchtet. Jetzt war es geschehen. Und es war ziemlich offensichtlich, wie er es herausgefunden hatte.
»Wie konntest du nur?« Toms Stimme zitterte vor Zorn. Langsam drehte er sich zu ihr um. »Wie konntest du nur?«
Abbie sah rot. Ohne Vorwarnung wandelte sich ihre Angst in Trotz. »Wie konnte ich nur? Schau doch, was du getan hast!« Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, eine verzweifelte Form der Vergeltung. »Wenn du darüber reden wolltest, hättest du mich einfach fragen können, und ich hätte dir alles gesagt. Es wäre unter uns geblieben.« Ihre Nägel bohrten sich in ihre Handflächen, und ihr war übel, denn von nun an würde ihr Leben anders sein. »Aber nein, o nein, du musstest an meinen Arbeitsplatz kommen und eine Szene machen, und jetzt wissen es alle!«
»Das ist mir egal!« Tom, der niemals seine Stimme hob, brüllte. »Ich will, dass es alle wissen! Du und Des Kilgour … Du und er, ein Paar …«
»Das ist nicht wahr! Ich hatte keinen Sex mit ihm.« Es platzte aus Abbie heraus. Sein Zorn machte ihr Angst. »Ich habe nur eine Nacht mit ihm verbracht. Ich dachte, du hättest eine Affäre, und ich war völlig durcheinander …«
Die Haustür ging auf und Georgia rief: »Warum versteckt sich eine Frau im Gebüsch unter dem Wohnzimmerfenster?« Sie erschien in der Wohnzimmertür, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich abrupt, als sie die Situation erfasste. Ihr Blick wanderte zwischen ihnen hin und her, und Abbie war klar, wer es Tom erzählt
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