Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
wahnsinnig …
Laut sagte Cleo: »Nein, warum sollte ich?«
»Oh, na gut.« Er zuckte mit den Schultern, schob seine Hände in die Hosentaschen und trat einen Kieselstein auf die Straße.
Pause.
Lange Pause.
Ach, um Himmels willen. »Also schieß los«, verlangte Cleo, »wer ist sie?«
»Eine Kundin.« Johnny lächelte kurz angesichts ihrer Kapitulation. »Eine äußerst wohlhabende. Ihr Mann ist letztes Jahr gestorben.«
»Echt?« Cleo war schockiert. »Wie furchtbar.«
»Eigentlich nicht. Er war 86.«
Igitt . Cleo bemühte sich sehr, keine Grimasse zu schneiden. Sie schluckte und sagte: »Und wie alt ist sie …?«
»Denk dir eine Zahl und dann verdoppele sie.« Amüsiert erläuterte er: »Sie hat einen großartigen Schönheitschirurgen. Aber darum geht es nicht. Sie ist nicht meine Freundin, falls du das denken solltest. Cornelia hat letztes Jahr bei ihrem Aufenthalt in New York zwei Skulpturen von mir gekauft, und jetzt interessiert sie sich dafür, eine dritte in Auftrag zu geben.«
Cleo nickte, denn so lebte eben die andere Hälfte der Menschheit. Im Zuge ihrer Arbeit hatte sie das schon öfters mitbekommen. Wenn normale Menschen sich etwas gönnen wollten, dann bestellten sie es im Internet oder fuhren in die Stadt in einen Laden, um zu sehen, was ihnen gefiel. Wenn dagegen Mrs Van Dijk eine neue Skulptur für ihr Wohnzimmer wollte, dann sprang sie in ein Flugzeug, um sich mit dem Künstler zu treffen.
Und da kam sie auch schon. Meine Güte, war sie wirklich schon in den Sechzigern? Cornelia lächelte Johnny liebevoll an, während Cleo ihr die Wagentür aufhielt, und strich mit der Hand über seine Wange. »Schätzchen, du riechst einfach köstlich. Acqua di Parma, stimmt’s?«
Der Hauch des Erkennens flackerte über Johnnys Gesicht, als ob der Name eine Saite zum Klingen brachte. »In einer hellgelben Schachtel? Das ist es, glaube ich, du Kluge.«
» Colonia Intensa .« Cornelia atmete genüsslich ein und schnurrte: »Ich habe immer recht. Cary Grant hat es verwendet, weißt du. Und David Niven auch.«
Cleo wagte es nicht, Johnny anzusehen. Mein Gott, Cornelia war älter, als sie gedacht hatten.
Es war fünf Uhr nachmittags. Sie hatte Johnny und Cornelia vor einer Stunde in Ravenswood abgesetzt. Nun kehrte Cleo zurück, um Cornelia nach Cheltenham zu fahren, wo sie zwei Tage bei einer alten Freundin bleiben wollte, bevor sie dann nach Amsterdam zurückflog.
Johnny kam an die Tür. »Wir brauchen noch ein paar Minuten. Ist das okay?«
»Selbstverständlich.« Cleo trat einen Schritt zurück, aber er öffnete die Tür weiter. »Du musst nicht im Wagen warten. Komm rein und schau dir mein neues Atelier an.«
Die Neugier war stärker als Cleo. Sie hatte noch nie ein richtiges Künstleratelier gesehen, also folgte sie Johnny durch den eichengetäfelten Flur.
»Tja«, meinte er, »es wird mein neues Atelier sein, sobald ich damit fertig bin.«
Sie standen im Wohnzimmer, einem riesigen, hohen Raum mit deckenhohen Fenstern und Glastüren, die zum Garten hinter dem Haus führten. Da die oberste Priorität im Leben von Lawrence LaVenture darin bestanden hatte, sich im Pub unter die Gäste zu mischen, und er mit Innenausstattung so gar nichts am Hut hatte, sah es ein wenig fade aus. Die Tapete war gestreift und rollte sich an den Ecken ein, der Teppich hatte ein Kringelmuster, und die Sofas passten nicht zusammen. Es hingen Jagdbilder an den Wänden, die Bücherregale waren übervoll mit Büchern, und das Fernsehgerät balancierte, wie Cleo verblüfft zur Kenntnis nahm, auf dem Rücken eines leuchtend roten Elefanten aus Ton.
»Ich weiß.« Johnny sah ihre Reaktion und meinte trocken: »Aber so hat es Dad eben gefallen. Die Immobilienmakler vermarkten das Haus als hervorragende Gelegenheit für den Käufer, dem Gebäude seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Was im Grunde nichts anderes heißt, als dass es von Grund auf saniert werden muss.«
»Ich liebe den Elefanten!« Cleo trat auf ihn zu, ganz unerwartet verzaubert. Im Auge dieser Kreatur lag ein schrulliges, freches Funkeln.
»Dad hat ihn auch geliebt. Es ist das erste Stück von mir, das er jemals richtig gemocht hat.«
Sie sah den Elefanten erneut an. »Den hast du gemacht?«
Er nickte. »Da war ich sechzehn.«
Als sie noch Feinde gewesen waren. Aber schon damals hatte er echtes Talent besessen.
»Jedenfalls«, fuhr Johnny fort, »jetzt, wo ich hier wohne, wird es einige Veränderungen geben. Und dieser Raum ist ideal, um darin zu
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