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Being

Titel: Being Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einfach.
    Ich beugte mich über das Bett und zog die Nachttischschublade auf. In der Schublade lagen ein Stapel Schreibpapier, ein Hotelkugelschreiber und eine Bibel. Ich nahm die Bibel heraus und blätterte darin herum, dann legte ich sie wieder zurück.
    Ich wusste, ich versuchte nur, Zeit zu gewinnen und aufzuschieben, was nötig war. Und ich wusste, ich durfte es nicht länger aufschieben.
    Es war an der Zeit, endlich darüber nachzudenken.
    Genau jetzt.
    Ich leerte meine Taschen und kippte den Inhalt des Rucksacks und der Aktentasche aufs Bett. Dann saß ich nur da und starrte die Dinge an, die da lagen, zwang mich, ihre nackte Realität zu sehen: Röntgenbilder, Fotoaufnahmen, ein Video, Skalpelle, Nadeln, Spritzen, Papiere, ärztliche Aufzeichnungen, eine Automatikpistole, Brieftaschen, Bargeld, Kleidung, Wodka, Schokoladenriegel, Hühnchen, Schmerztabletten …
    Es war eine absurde Zusammenstellung.
    Und ich wusste, was ich zu tun hatte.
    Ich griff nach dem Glas und füllte es zur Hälfte mit Wodka. Ich hasse Alkohol. Ich hasse den Geschmack, den Geruch und das Gefühl, das er in einem auslöst. Ich
hasse
Alkohol.
    Doch es war nötig.
    |77| Ich füllte das Glas mit Cola auf.
    Nahm zwei Paracetamol.
    Dann trank ich, schauderte, trank noch einmal.
    Es war nötig.
    Ich fing an, die Gegenstände auf dem Bett zu untersuchen.

    Die Röntgenaufnahmen. Verschwommene Bilder von Knochen und Organen auf einer Kunststofffolie. Röntgenbilder.
Normal
, hatte Casing gesagt.
Normal.
Ich hielt die Aufnahmen gegen das Licht und studierte sie, doch sie sagten mir nichts. Ich hatte keine Ahnung, was ich sah. Ich hatte keine Ahnung, wonach ich
suchte
. Wie sieht
normal
aus? Ich legte die Röntgenaufnahmen auf die eine Seite und widmete mich dem Stapel Unterlagen.

    Die Unterlagen. Fotokopien meiner Terminkarte und meines Befundbogens, Name und Adresse, ein paar persönliche Details auf einem handgeschriebenen Blatt. Leere Seiten. Unterlagen. Nichts über Ryan. Nichts von Ryan. Nichts, das mir erklärte, was geschehen war. Ich schob alle Unterlagen wieder zusammen und legte sie auf die Röntgenbilder.

    Die Patientendaten. Gedrängte Handschrift auf kleinen weißen Karten. Ich warf einen Blick drauf, suchte nach etwas Ungewöhnlichem, doch es stand kaum etwas da. Ehrlich gesagt, abgesehen von meinen Magenproblemen fand sich gar nichts. Keine Knochenbrüche, keine Krankheiten, keine Gebrechen.
    War das normal?
    Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich jemals krank gewesen war. Ich wusste, ich hatte Erkältungen gehabt. Schnupfen, Niesen, |78| einen Husten. Aber nein, an irgendetwas Ernstes erinnerte ich mich nicht. Nichts, was eine intensive ärztliche Untersuchung nötig gemacht hätte.
    Nichts?
    Nie?
    Windpocken, Masern, Mumps …?
    Nein.
    Nichts. Nicht, soweit ich mich erinnern konnte.
    Nur schlechte Träume.
    Keine Ahnung, was ich davon halten sollte.

    Ich machte mir noch einen Drink.
    Füllte das Glas wieder. Drei Teile Wodka, einen Teil Cola.

    Die Fotos. Schwarzweiß-Standbilder aus dem Endoskopie-Video. Unklare Darstellungen unklarer Dinge. Merkwürdige Dinge. Merkwürdige Formen. Kegel, Flecken, eigenartige schwarze Kammern. Etwas weiß Geschlängeltes, Windungen, Furchen, Spuren. Muster. Ich wusste nicht, was ich da anschaute. Es gab keinen Hinweis auf Dimension oder Richtung. Keine Bezugspunkte.
    Noch nicht.
    Ich stapelte die Fotos und legte sie neben das Video.

    Noch ein Drink.

    Die Pistole. Sie war mattschwarz, leicht ölig, mit Fingermulden im Griff, einem kompakten kleinen Visier und sieben vertikal eingekerbten Rillen am hinteren Teil des Laufs. An der Seite stand MADE IN AUSTRIA und darunter GLOCK. Es war eine Waffe. |79| Eine 9-mm -Automatikpistole. Ich berührte einen kleinen Riegel und das Magazin glitt heraus. Sechzehn Kugeln zählte ich. Ich setzte das Magazin –
klick
– wieder ein und wog die Waffe in meiner Hand.
    Sie fühlte sich solide und schussbereit an. Mächtig.
    Sie fühlte sich an wie der Tod.
    Ich deponierte die Pistole auf der linken Seite des Betts.

    Die Dinge ordnen. Das war es, was ich tat. Ich nahm Dinge hoch, eins nach dem andern, betrachtete sie, prüfte sie, schaute nach, was sie mir zu sagen hatten. Dann ordnete ich sie auf dem Bett verschiedenen Haufen zu. Rechts der Krempel, der mir nichts sagte, alles, was ich wegschmeißen konnte. Links das, was ich behalten musste. Und in der Mitte, direkt vor mir, das, was ich angucken musste.
    Ordnung. Halt Ordnung.
    Es gefiel mir, Ordnung zu

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