Being
Abfahrt zufuhren. Auf einem Schild am Straßenrand stand SHENFIELD, |193| daneben ein Symbol für Bahnhof.
Ich klappte die Karte zu und steckte sie weg.
Ich trank einen Schluck Wasser.
Ich schaute aus dem Fenster.
Ich wusste, ich musste mich jetzt konzentrieren. Ich musste aufhören, darüber nachzudenken, was ich empfand, und anfangen, mir zu überlegen, was ich tun wollte. Irgendwann ziemlich bald würde Eddi verlangen, dass ich ihr alles erklärte, und ich musste mich entscheiden, was ich ihr erzählen wollte.
Sollte ich ihr die Wahrheit sagen?
Konnte
ich ihr überhaupt die Wahrheit sagen?
Oder musste ich lügen?
Das waren die Fragen, über die ich jetzt nachdenken musste.
Wahrheit oder Lügen.
Als wir nach Shenfield hineinfuhren und den Bahnhof fanden, hatte ich mich immer noch nicht entschieden. Ich wollte Eddi nicht anlügen, und die Idee, Kamal die Wahrheit erzählen zu lassen, war mir sehr entgegengekommen. Doch das war damals …
Und jetzt war jetzt.
Und aus irgendeinem Grund fühlte sich jetzt alles anders an.
Als wir auf den Bahnhofsparkplatz fuhren, fing Eddi an, sich nach den Reihen abgestellter Autos umzuschauen.
»Was für ein Fahrzeug suchen wir?«, fragte ich sie.
»Was Altes, aber nicht zu alt. Nichts zu Protziges. Irgendwas, was leicht zu klauen ist. Ein Escort wär gut. Oder ein Hyundai, die sind einfach …«
|194| »Woher weißt du das alles?«, fragte ich.
»Ich bin kriminell«, sagte sie nur. »Ich klaue. Und jetzt halt die Klappe und guck mit.«
Schließlich fanden wir, was wir suchten, am Ende des Parkplatzes. Es war ein grauer Honda Civic, ungefähr zehn Jahre alt. Keine Alarmanlage, keine Lenkradsperre. Außer Reichweite für die Überwachungskameras.
»Perfekt«, sagte Eddi.
Sie parkte den Corsa in der nächsten freien Lücke, dann sagte sie, ich solle am Automaten einen Parkschein für vierundzwanzig Stunden ziehen.
»Wieso das?«, fragte ich. »Wozu denn?«
»Wenn wir den Corsa ohne Schein stehen lassen, fällt es irgendwem auf. Und wir wollen doch nicht, dass es irgendwem auffällt – okay?«
Ich sah mich im Innern des Wagens um. Es war eine Menge Blut auf den Sitzen. Blut, Matsch … anderes Zeug.
Ich schaute Eddi an. »Sollen wir nicht versuchen, den Wagen sauber zu machen, ehe wir abhauen?«
»Du kannst es ja versuchen, wenn du Lust hast«, sagte sie und öffnete die Wagentür, »aber glaub nicht, dass ich auf dich warte.«
Sie stieg aus, schlug die Tür zu und ich beobachtete, wie sie zu dem Civic hinüberging. Ich wartete einen Moment, ohne zu wissen, worauf, dann stieg auch ich aus und suchte nach dem Parkautomaten. Es war ein großer Parkplatz und ich brauchte einige Zeit, bis ich ihn gefunden hatte. Danach musste ich den Schein ziehen, ihn zum Corsa zurücktragen, an die Windschutzscheibe klemmen, meinen Rucksack herausholen …
Alles in allem muss ich knapp fünf Minuten dafür gebraucht |195| haben.
Trotzdem war ich überrascht, als ich auf den Civic zuging und Eddi bereits hinter dem Lenkrad sitzen sah.
»Das ging ja schnell«, sagte ich. »Wie hast du das –?«
»Steig ein«, entgegnete sie, ohne mich anzusehen.
Ich ging auf die Beifahrerseite und stieg ein. Eddi fasste jetzt unter das Lenkrad und zog ein paar Drähte hinter dem Armaturenbrett vor. In der Hand hatte sie ein kleines Taschenmesser. Sie arbeitete schnell – Drähte auswählen, freilegen, zusammenwickeln – und in weniger als einer Minute lief der Motor. Eddi setzte sich auf, ließ den Motor ein paarmal aufheulen, schaute sich kurz um, dann fuhr sie ganz ruhig vom Parkplatz.
Als wir zurück auf die A12 und wieder Richtung Süden fuhren, fragte mich Eddi nach ihrem Handy. Ich zog es aus meiner Tasche und reichte es ihr. Sie drückte eine Taste, schaute auf das Display, dann legte sie das Handy in eine Ablage im Armaturenbrett. Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Also«, sagte sie zu mir, »glaubst du jetzt, wir sind sicher?«
»Keine Ahnung … wahrscheinlich schon. Sie wissen nicht, wo wir sind oder wohin wir fahren. Sie wissen nicht, wo Morris ist. Ich glaube, wir sind so sicher, wie wir im Moment sein können.«
»Dann fang an zu erzählen.«
Ich warf einen Blick zu ihr hinüber.
»Du hast es versprochen«, sagte sie. »Erinnerst du dich? Du hast gesagt, du würdest alles erklären, sobald wir in Sicherheit sind.« Sie sah mich an. »Verdammt noch mal, was läuft da, Robert? In was hast du mich da reingezogen?«
|196| Ich fing bei der Wahrheit an. Ich hatte
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