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Being

Titel: Being Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dem Leib geprügelt. John hat mir mal seine Narben gezeigt.«
    »Ja, Curtis hatte sie überall auf dem Rücken. Brandnarben von Zigaretten.«
    »John hat mir erzählt, seine Mum hätte alles gewusst, aber nie was dagegen gemacht.«
    »Na ja …«, sagte Eddi leise. »Manchmal fällt es schwer, das Richtige zu tun. Selbst wenn du weißt, dass es falsch ist, ist es nicht immer leicht, es zu verhindern.«
    »War es zwischen dir und Curtis auch so?«
    Eddi schwieg wieder und ich dachte für einen Moment, sie wolle nicht antworten, doch schließlich spürte ich eine Bewegung und ich hörte ein Seufzen aus ihrem Mund. »Anfangs war er in Ordnung«, erzählte sie, »aber dann wurde er ein bisschen komisch … du weißt schon, wollte lauter perverse Sachen und drehte durch, wenn ich nicht mitmachte …« Sie seufzte wieder. »Das erste Mal, als er mich geschlagen hat, dachte ich danach, er würde vor Scham sterben. Er hat geheult und geschluchzt, hat mich um Verzeihung gebeten und versprochen, es nie wieder zu tun …«
    »Aber er hat es doch getan?«
    »Ja, es wurde immer schlimmer. Sogar wenn ich
getan
hab, was er von mir wollte, fand er trotzdem einen Grund, um mich zu schlagen. Und das Schlimmste war, ich hab nichts dagegen unternommen. |259| So ähnlich wie seine Mutter, die auch nichts gegen seinen Vater gemacht hat. Ich hab mir eingeredet, irgendwie wäre doch alles okay – dass er es nicht so meint, dass er mich doch liebt … die ganze Scheiße.«
    »Hast du ihn deshalb verpfiffen?«
    »Ja … es schien mir die einzige Chance, ihn aus meinem Leben zu kriegen. Ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten. Er war dabei, mich umzubringen. Jeden Tag hat er mich ein Stück weit umgebracht. Also hab ich ihn reingelegt, verraten … und ich hab dafür gesorgt, dass die Polizei auch ja alles bekam, was nötig war, um ihn einzulochen. Das haben sie dann auch gemacht. Wenn er nicht bei so einem dämlichen Streit im Gefängnis draufgegangen wär, müsste er jetzt immer noch fünf Jahre absitzen.«
    Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Wir lagen noch jeder mit dem Rücken zum andern, jeder allein in der Dunkelheit. Ich überlegte, ob ich etwas tun sollte oder ob Eddi vielleicht sogar wollte, dass ich etwas tat – etwas sagte, sie streichelte, sie fragte, was sie dachte. Aber das Schweigen schien genug zu sein. Es wirkte nicht unangenehm und leer. Es war okay.
    Also beließ ich es dabei.

    Nach einer Weile verlangsamte sich Eddis Atem allmählich zu einem gleichmäßigen Schlafrhythmus und ich schloss die Augen und versuchte, ihr zu folgen. Ich leerte meinen Kopf. Ich versuchte, alles zu vergessen. Ich versuchte, in die Dunkelheit zu sinken. Doch egal was ich tat, es klappte nicht.
    Ich konnte nicht schlafen.
    Ich konnte nicht aufhören zu denken.
    Während Eddi neben mir schlief und der Nachtverkehr draußen |260| auf der Straße leise rauschte, blitzten meine Gedanken ständig auf und verschwanden wieder – schwarz und weiß, rot und silbern, dies und das …
    Dies?
    Oder das?
    Normal/unnormal?
    Mensch/kein Mensch?
    Beseelt/unbeseelt?
    Bewusst/unbewusst?
    Lebendig/tot?
    Fleischmetallkunststoffkohlefaserelektrischchemisch …?
    Herzmaschine?
    Hirnmaschine?
    Wahrheitlügenwahrheitlügenwahrheitlügenwahrheit …?

    Irgendwann in den frühen Morgenstunden begann Eddi im Schlaf zu zucken und zu wimmern. Ich lag da und horchte, doch als das Wimmern lauter wurde und ihr Kopf anfing, von einer Seite zur andern zu schlagen, setzte ich mich auf und sah sie an. Sie war ganz verkrampft – die Lider fest zusammengepresst, die Beine eng an den Körper gezogen – und machte ständig merkwürdige kleine Bewegungen mit ihren Händen, wie so ein Herumwischen im Gesicht, als ob sie versuchte, etwas loszuwerden.
    Ich beobachtete sie und fragte mich, wovon sie wohl träumte. Von schrecklichen Dingen? Schrecklichen Orten? Von Morris? Von Curtis? Von mir?
    Ich wusste, ich sollte sie aufwecken, aber ich hatte nicht den Mut. Also saß ich nur da, beobachtete sie und wartete darauf, dass sie den Traum überwand. Und ganz allmählich begann sie sich |261| tatsächlich zu beruhigen.
    Das Zucken hörte auf, ihr Körper entspannte sich und langsam verloren sich auch die Wimmerlaute. Es dauerte eine Weile, doch schließlich war sie wieder still.
    Ich schaute auf die Uhr auf dem Nachttisch.
    Es war vier Uhr morgens.
    Es hatte keinen Sinn mehr, jetzt noch schlafen zu wollen.
    Ich saß da und wartete darauf, dass der Wecker losging.

|262| Neunzehn
    A m

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