Being
fing sie an, dann folgte eine Pause und sie schloss die Augen und ließ den Kopf kreisen. »Gott«, murmelte sie, »ich bin fertig. Ich glaub, ich geh mal lieber.«
Sie versuchte aufzustehen, drückte sich aus dem Sofa hoch, doch fast im selben Moment fiel sie wieder zurück und sank gegen mich. Als ihr Kopf schläfrig auf meine Schulter kippte und ich ihren Atem an meinem Hals spürte, zwang ich mich, aufzustehen und ihr aus dem Sofa zu helfen.
»’tschuldigung«, murmelte sie, als ich sie hinüber zu ihrem Schlafzimmer führte. »Ich wollte nicht … ich hatte nicht … tut mir leid …«
»Da sind wir«, sagte ich, als ich die Schlafzimmertür öffnete. »Meinst du, du schaffst den Rest?«
Sie ließ mich los und stand schwankend in der Tür. »Ja …«, sagte sie und lächelte schief. »Ja, alles klar, danke …«
»Kein Problem.«
»Ich geh schlafen.«
»Gute Idee.«
Sie sah mir in die Augen, blinzelte mehrmals, dann trat sie auf mich zu und küsste mich auf den Mund. Es war kein langer Kuss, |282| aber mehr als ein flüchtiger Gutenachtkuss, und er fühlte sich so unbeschreiblich gut an … als ob ich in Flammen stehen, schmelzen, schweben, stürzen würde … als ob nichts anderes sich je so gut anfühlen könnte. Und wenn sie nicht aufgehört hätte, wenn sie nicht mit der Hand mein Gesicht berührt, mir in die Augen gesehen hätte und einen Schritt zurückgetreten wäre …
Ich weiß nicht, was dann passiert wäre.
Doch sie hörte auf.
»Gute Nacht, Robert«, sagte sie.
Ich konnte nicht sprechen, sondern nickte nur.
Sie lächelte wieder, nicht ganz so schief, dann ging sie ins Schlafzimmer und schloss die Tür.
Die Luft in meinem Zimmer war warm und schwer und drückend, sie lag auf meiner Lunge wie Blei. Die Stille nahm mir den Atem. Ich ging zum Fenster hinüber und öffnete es, dann stand ich eine Weile nur da – sog die kalte Bergluft ein, lauschte der Nacht und starrte hinaus auf den endlosen schwarzen Glanz des Meers. Lichter flimmerten irgendwo in der Ferne und ich fragte mich, was sie wohl sein mochten. Fischerboote? Leuchtkäfer? Reisende der Nacht?
Die Zeilen eines Lieds schlichen sich in meinen Kopf ein.
Und der Reisende der Nacht
Dankt dir für den kleinen Span.
Hätte nie sich aufgemacht,
Sähst du funkelnd ihn nicht an.
Funkel, funkel, kleiner Stern,
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Was du bist, das wüsst ich gern.
Ich zog mein Hemd aus, setzte mich in den Korbstuhl und wartete.
Einige Zeit später, als ich nur noch Eddis leises, betrunkenes Schnarchen hörte, holte ich das Endoskopie-Video aus meinem Rucksack und schlich auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer. Ich wartete einen Moment, horchte angestrengt, dann legte ich – zufrieden, dass Eddi immer noch fest schlief – das Video in den Rekorder, setzte mich aufs Sofa und nahm die Fernbedienung.
Funkel, funkel, kleiner Stern …
Ich musste sehen, was in meinem Innern war. Ich
wollte
es nicht sehen, aber ich musste sicher sein, dass es tatsächlich da war, dass ich es mir nicht eingebildet hatte. Ich wusste, dass es nicht so war. Ich war
sicher
, ich hatte es mir nicht eingebildet … aber dieser Kuss und wie ich mich dabei gefühlt hatte … das hatte ich mir auch nicht eingebildet.
Kann eine Maschine sich so gut fühlen?
Ich lauschte wieder auf die Stille. Leise Geräusche schwebten durch das offene Fenster herein – zirpende Insekten, das sanfte Seufzen des Windes, ein Motorrad, das dröhnend in der Ferne verschwand – und vom andern Ende des Zimmers hörte ich das Sirren einer einsamen Mücke. Ich starrte auf den leeren Bildschirm, die Fernbedienung in der Hand, mein Daumen über der PLA Y-Taste schwebend …
»Funkel, funkel«, murmelte ich vor mich hin, »was du bist, ich schau’s mir an.«
Ich holte tief Luft und drückte auf PLAY.
|284| Es war noch immer alles da. Die Dinge, die ich nicht verstand, die schwarzen Dinge, die grauen Dinge, die Schatten silberner Dinge. Eingetrübt weiß, dunkel schimmernd. Wie Metall, wie Kunststoff. Schläuche, Muster, Kreise und Wellen, winzige asymmetrische Gitter … Ich hatte gedacht, es wäre diesmal vielleicht leichter, all dies anzusehen, nicht solch ein Schock, aber es war nicht leichter. Ehrlich gesagt war es sogar eher noch schwerer, denn diesmal gab es keinen Zweifel, dass das, was ich sah, ich war. Ich
wusste
es. Das war ich. Alles – die dünne, gazeartige Membran, die geschwärzte Kammer, die Fäden, die Streben, die Kristalle …
In mir.
Die falschfarbenen Flüssigkeiten, Milch
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