Beinssen, Jan
fuhr Sina auf. »Sie sprechen doch nicht etwa von Peenemünde?«
Engelhardt ging nicht darauf ein. »Was meine eigene Rolle anbelangt: Ich war Führungsoffizier der Stasi im verdeckten Dienst. Ich habe von Nürnberg aus jahrelang …«
Weiter kam er nicht, denn die Schiebetür des VW-Busses wurde mit einem heftigen Ruck aufgerissen. Sina und Gabriele zuckten zusammen, als ein kühler Luftzug in den Innenraum des Transporters strömte. Obwohl das flaue Lämpchen der Innenbeleuchtung die einzige Lichtquelle war, erkannte Sina den bulligen, rothaarigen Mann sofort: Es handelte sich um den Fahrer des Volvos, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und jetzt unvermittelt neben ihrem Wagen stand.
Engelhardt hob schützend die Arme vor den Kopf, als wolle er einen Angriff abwehren. Doch der unerwartete Besucher lächelte nur und entblößte dabei eine Reihe großer, weißer Zähne.
Er hob die rechte Hand, in der er die mobile Lautsprecheranlage für den Kinoton hielt. »’Tschuldigung«, sagte er mit einer sonoren Bassstimme. »Mein Ding gibt keinen Mucks von sich. Ist Ihres okay?«
Engelhardt saß wie erstarrt auf der Rückbank, während Sina und Gabriele sich langsam von ihrem Schreck erholten. Gabi drehte am Tonregler ihres Lautsprechers, woraufhin Indianergesang den Innenraum des Busses erfüllte.
Der Rothaarige legte seine flache Stirn in Falten. »Na, dann hat meins wohl den Geist aufgegeben. Ich hol mir ein neues an der Kasse.« Er wandte sich zum Gehen, machte dann jedoch noch einmal kehrt. Mit seiner freien Hand holte er aus und schlug dem verängstigten Engelhardt kräftig auf die Schulter. »Vielen Dank für den Tipp, alter Knabe!« Gleich danach war er in der Dunkelheit verschwunden.
Gabriele lachte erleichtert auf. »Na, das war ja eine seltsame Begegnung. Der Kerl hat einem einen gehörigen Schrecken eingejagt, was?«
Sina nickte verhalten. »Das kann man wohl sagen.« Nachdenklich fügte sie hinzu: »Seltsam ist vor allem, warum er sich bei Ihnen bedankt hat, Herr Engelhardt. Sie haben doch gar nichts zu ihm gesagt.«
Engelhardt rieb sich die Schulter. »Ja, komisch. – Kannten Sie den Mann?«
»Ich?« Sina war verwundert. Und doch hatte sie sich insgeheim genau diese Frage selbst gestellt. Kannte sie ihn? Die roten Haare, die kompakte
Statur? Der Mann hatte den Eindruck gemacht wie ein …
Engelhardt stöhnte plötzlich auf. Abermals rieb er sich die Schulter.
»Was ist?«, fragte Gabriele. Auch Sina war besorgt, während sie aus den Augenwinkeln beobachtete, wie der Volvo vor ihnen gestartet wurde und langsam davonrollte.
»Au …« Engelhardt wirkte nun noch zerbrechlicher, als er ohnehin war. »Mir ist schwindelig.«
In Sinas Kopf platzte ein Erinnerungsknoten nach dem anderen, während sie mit ansah, wie Engelhardt langsam in sich zusammensank. Rotes Haar, Stiernacken, die tiefe, brummige Stimme. Ein Typ wie ein irischer Bauer …
Gabriele fing Engelhardt auf, kurz bevor er vornüber gekippt wäre. »Um Himmels willen, was ist mit Ihnen los?«
Sina war sich jetzt sicher: Sie hatte den Rothaarigen schon einmal gesehen. Im Bunker auf der Insel Usedom! Er war einer ihrer damaligen unbekannten Peiniger gewesen! Prompt wurde sie von einem eiskalten Schauder erfasst.
»Sina, Kind, tu doch was!«, rief Gabriele, die den keuchenden Engelhardt in ihren Armen hielt.
Sina schaltete sofort, betätigte die Rufsäule für den Service: »Ein Notfall! Wir brauchen einen Krankenwagen! Das ist kein Scherz! Beeilen Sie sich!« Dann half sie Gabriele damit, Engelhardt in eine stabile Lage zu bringen.
Er begann zu husten. Sein Körper verkrampfte sich. Mit wirrem Blick sah er auf. »Sie müssen …«, begann er zu reden, kam aber nicht weiter.
»Was wollen Sie uns sagen?«, fragte Gabriele fürsorglich. Eindringlicher fügte sie hinzu: »Geht es um das Gold?«
»Schmid…«, stammelte Engelhardt und begann am ganzen Leib zu zittern.
»Schmied?«, fragte Gabriele. »Meinen Sie einen Goldschmied?«
Sina stieß sie beiseite. »Konzentrieren Sie sich bitte, Herr Engelhardt. »Von wem sprechen Sie?«
»Schmid…, Schmidbauer«, presste Engelhardt unter heftigem Röcheln hervor. »Emil Schmidbauer.« Sein Atem rasselte, die nächsten Worte waren kaum mehr zu verstehen. »Achten Sie …« Er hustete schwach. »Achten Sie auf die Steine. Backsteine …« Sein schmaler Körper bäumte sich auf und fiel gleich darauf in sich zusammen.
»Herr Engelhardt!«, rief Gabriele, und es klang in Sinas Ohren beinahe
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