Beinssen, Jan
Er
wirkte aufs Äußerste gespannt und nervös. »Frau Probst hat Ihnen die Unterlagen übergeben. Sie haben Sie gelesen und wissen um ihre Brisanz.«
»Nein«, widersprach Gabriele deutlich. »Von wegen übergeben. Wir haben diese Papiere durch Zufall entdeckt und sind nicht schlau geworden aus deren Inhalt.«
Engelhardts Wangenmuskeln zuckten. »Glauben Sie mir: Die Unterlagen waren für Sie bestimmt. Sie enthalten alle wichtigen Informationen über die Goldreserven. Alles, was Sie für die Fortsetzung Ihrer Recherchen benötigen.«
»Augenblick!«, schaltete sich Sina ein. »Wovon sprechen Sie überhaupt? Wir sind keine Journalisten. Wir stellen keine Recherchen an.«
Gabriele schob sie beiseite. »Sagten Sie gerade etwas von Gold?«, fragte sie durchaus freundlich.
Engelhardt nickte verhuscht. »Ja, ich spreche von den Goldreserven der DDR. Cornelia Probst hatte von Ihren Aktivitäten auf Usedom erfahren. Sie nahm an, dass wir bei Ihnen an der richtigen Adresse seien, um unsere Bemühungen mit Ihrer Hilfe fortzusetzen.«
»Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden«, sagte Sina verwirrt. Angesteckt von Engelhardts Nervosität blickte sie sich wieder um, sah das innig schmusende Pärchen im Rückspiegel, die beiden Jungs mit den Bierbüchsen nebenan, das ältere Ehepaar im Nachbarauto – nur der Rothaarige im Volvo vor ihnen war nicht zu erkennen. Womöglich war er einge
schlafen und hatte sich mit dem Kopf auf den Beifahrersitz gelegt.
»Ich rede von 21 Tonnen Gold, die nach der Wiedervereinigung verschwunden sind«, präzisierte Engelhardt.
Gabrieles Kinnlade klappte herunter. »21 Tonnen … Gold?«
»21,2 Tonnen, um genau zu sein.«
»Aber, das sind ja …« Gabriele lief vor Aufregung rot an. »Lassen Sie mich schnell mal überschlagen: Das ist eine halbe Milliarde Mark!«
»523,5 Millionen D-Mark waren es zum Zeitpunkt des Mauerfalls«, rechnete Engelhardt vor.
Sina drehte den Rückspiegel jetzt so, dass sie Engelhardt darin sehen konnte, ohne sich ständig umdrehen zu müssen. »Ich verstehe noch immer nicht, warum Sie das gerade uns erzählen. Warum sollten wir uns für DDR-Gold interessieren?«
Gabriele versetzte ihr einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Gold interessiert uns immer. Erzählen Sie weiter, Herr Engelhardt.«
Der Mann räusperte sich. »Frau Probst hat in dieser Angelegenheit recherchiert, speziell ging es ihr um den 3. Dezember 1989.«
»Was ist an diesem Tag passiert?«, wollte Gabriele wissen.
»Es war der Tag, an dem sich Alexander Schalck-Golodkowski des Delikts der Republikflucht aus der DDR schuldig gemacht hatte.«
»Der berüchtigte Devisenbeschaffer der Deutschen
Demokratischen Republik?«, versicherte sich Gabriele.
Engelhardt nickte. »Ja, der Hüter des DDR-Staatsschatzes. Er hatte den Nimbus des größten Außenhandelsexperten des Landes, weil ihm die Milliardengewinne der KoKo-Unternehmen zugeschrieben wurden, die im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet erzielt wurden. Er war Verwalter eines riesigen Vermögens, von dem die meisten DDR-Bürger nichts ahnten. Im Keller der KoKo-Schaltzentrale sollen 16.000 Goldbarren verwahrt worden sein.«
»Schön und gut«, sagte Sina mit aufkeimender Ungeduld. »Was passierte mit dem Gold, nachdem Golodkowski seinem Land den Rücken gekehrt hatte?«
Engelhardt wirkte mit einem Mal noch nervöser. »Das ist der springende Punkt. Die DDR-Staatsanwaltschaft forderte im Dezember 1989 die Prüfung der KoKo-Bereiche an. Eine gründliche Finanzrevision. Aber Frau Probst ist beim Einsehen der Unterlagen auf große weiße Flecken gestoßen.«
»Das heißt, jemand hat etwas vertuscht?«, mutmaßte Sina.
»Egal«, fuhr ihr Gabriele über den Mund. »Wichtig ist in erster Linie, was mit dem Gold passiert ist. Können Sie die Geschichte vielleicht etwas abkürzen?«, bat sie mit kaum unterdrückter Gier.
Sina aber wollte sich nicht in die Parade fahren lassen. Energisch brachte sie vor: »Nein, wichtiger ist
nach wie vor die Frage, was wir mit all dem zu tun haben. Und auch, welche Rolle Sie dabei spielen. Ein Philatelist, der sich mit Staatsfinanzen beschäftigt – wie passt das zusammen?«
Engelhardts Blicke wanderten zwischen den beiden Frauen hin und her, bevor er an Sina gerichtet sagte: »Frau Probst suchte nach weiteren Informanten für ihre Recherchen. Sie hatte erfahren, dass Sie beide bereits selbst Kontakt mit der Organisation hatten, die auch für die Unterschlagung des DDR-Golds verantwortlich zeichnet.«
»Wir?«,
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