Beinssen, Jan
Stufen in den Kellertrakt hinunterzugehen, sondern setzte seinen Weg durch das Foyer fort. Er ging auf die hintere Ecke zu, dort, wo eigentlich nur Schränke mit Tischtüchern und Dekomaterial standen, ein Regal mit Zeitschriften und Büchern und – und ein stillgelegter Lastenaufzug.
Sina zuckte zusammen, als die Erkenntnis sie traf
wie ein Blitz. Hektisch fummelte sie am Verschluss ihrer Jackentasche und zerrte eine Nachzeichnung des Fluchtplans heraus. Sie faltete ihn auseinander und breitete ihn auf der Motorhaube aus. Zwar stellte der Plan nur das Untergeschoss dar, doch auch hier war der Aufzugsschacht eingezeichnet. Er war recht groß für einen Fahrstuhl, der einst ja nur dazu gedient hatte, leichte Materialien wie Wäsche oder Geschirr zwischen den Stockwerken hin und her zu transportieren. Außerdem war er mit einem rückwärtigen Versorgungsraum verbunden. Dieser hatte die Abmessungen eines kleinen Zimmers von etwa vier mal fünf Metern Grundfläche. Genug Platz, um hier etwas Stapelbares zu lagern und vor neugierigen Blicken zu schützen.
Als sie ihr Fernglas wieder zur Hand nahm, war Schmidbauer verschwunden.
27
Klaus war der Letzte, der eintraf, und er hatte sehr schlechte Laune mitgebracht. »Was soll denn das? Wie viele von diesen sinnlosen konspirativen Treffen sollen wir noch abhalten?«
Sie standen inmitten von Gabrieles Antiquitätensammlung. Da es draußen längst dunkel war und sie nur die indirekte Beleuchtung eingeschaltet hatte, hatte Klaus’ Formulierung ›konspiratives Treffen‹ durchaus Berechtigung, dachte Sina. Aber auf die Befindlichkeiten ihrer Mitstreiter konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Sie war froh, dass es ihr gelungen war, alle vier so schnell noch einmal zusammenzutrommeln, und wollte nun gleich zur Sache kommen: »Ich kann mich irren. Aber wenn nicht, habe ich das System der Goldwäsche durch die NHA durchschaut. Ich bin ihnen auf die Schliche gekommen …«
Sina legte zum Erstaunen der anderen ihre Beobachtungen des späten Nachmittags dar und beschrieb detailliert ihre Eindrücke. Sie ließ nichts aus, dichtete aber auch keine eigenen Schlussfolgerungen dazu. Schließlich – nachdem sich die anderen selbst ihre Meinungen bilden konnten – endete sie mit der einzig logischen Quintessenz: »Die biedere Fassade der Akademie, die häufigen Besuche Schmidbauers, die vielen Spuren in Richtung
DDR-Goldreserve und schließlich der Pritschenwagen, der ständig vor dem Hotel steht – all das sind Teile eines Puzzles, die sich allmählich zusammenfügen lassen: Schmidbauer ist, wie wir es vermutet hatten, ein Kurier. Er bringt das Gold in handlichen, unauffälligen Mengen in die Akademie, wo es im Versorgungsraum des stillgelegten Aufzugs gelagert und für den weiteren Transport ins Ausland präpariert wird. Die Tarnung ist sehr clever: Die Barren werden in eine Gussform gelegt und mit tonhaltigem Lehm umgeben. Anschließend kommen sie in einen Brennofen und sehen danach aus wie ganz normale Mauersteine. Auf einem gewöhnlichen Bauwagen werden sie anschließend Fuhre für Fuhre zum nächsten Punkt der Transportkette gekarrt. Ein todsicheres Verfahren. Kein Außenstehender schöpft Verdacht.«
»Das hört sich ebenso einfach wie genial an.« Friedhelm zeigte einen Anflug von Begeisterung und ließ damit für wenige Augenblicke sein angeborenes phlegmatisches Temperament vergessen.
Auch seine Schwester war durchaus erfreut über Sinas Entdeckung. »Gut gemacht, Kleine. Es sieht ganz so aus, als würden wir am Ende doch noch unser Stück von der Torte abbekommen.«
Die miese Laune von Klaus hingegen hatte sich auch nach Sinas Vortrag nicht gebessert. »Wie willst du das denn anstellen?«, fuhr er Gabriele gereizt an. »Zum Lastwagen laufen und dir so viele goldgefüllte Backsteine unter den Arm klemmen, wie du tragen
kannst?« Mit wegwerfender Handbewegung meinte er: »Ich bin diese Mätzchen allmählich leid. Wir sehen uns hier skrupellosen Schwerverbrechern gegenüber, und ihr tut so, als wäre alles nur ein harmloses Cowboy-und Indianer-Spiel!«
»Sachte, sachte«, sagte Gabriele ruhig. »Es steht völlig außer Frage, dass wir mit einem unüberlegten Schnellschuss rein gar nichts erreichen. Am wichtigsten ist erst einmal, dass wir uns absichern, bevor wir über die nächsten konkreten Schritte nachdenken. Absichern können wir uns nur, indem wir uns stichhaltige Beweise aneignen.«
»Die haben wir doch schon«, meinte Friedhelm. »Wir haben Sina als
Weitere Kostenlose Bücher