Beiss mich - Roman
leidenschaftlich aus. »Ich will, dass du mich richtig beißt! Damit ich auch so werde wie sie!«
»Was meinst du mit richtig?«, forschte Martin.
»Keine Ahnung. Mehrmals. Oder fester. Ich weiß nicht. Was habt ihr denn gemacht?«
»Nun, ich habe sie bestimmt nicht fester gebissen als dich.«
Das war vermutlich sogar die Wahrheit. Dieser Halunke! Ich legte meine Hand auf das Treppengeländer neben mir und grub die Nägel hinein. Holz splitterte unter meinen Fingern, und der geschwungene Lauf löste sich auf einer Länge von zehn Zentimetern zu Sägespänen auf.
»War da was?«, fragte Solveig beunruhigt.
»Wahrscheinlich nur eine Maus.«
Die Maus würde gleich den ganzen Laden hier aufmischen! Wehe, du beißt sie, mein Freund!
»Aber wenn du sie genauso gebissen hast wie mich – wieso hat es dann bei ihr gewirkt, und bei mir nicht?«, klagte Solveig.
»Das hängt von verschiedenen Faktoren ab«, behauptete Martin fromm. »Nach meinen Informationen ist es eine Frage der Enzyme. Sie lösen eine bestimmte hormonelle Reaktion im Körper aus, und da die Zusammensetzung der Enzyme bei jedem Menschen anders ist, kann auch die Stärke der jeweiligen Reaktion unterschiedlich ausfallen.«
Enzyme? Hormone? Das war definitiv frei erfunden. Doch für Solveig klang es anscheinend glaubhaft genug.
»Das ist dann ja praktisch fast genau so wie beim Alkohol«, mutmaßte sie eifrig. »Der eine trinkt ein paar Glas und ist sofort blau, der andere kann eine ganze Flasche vertragen!« Sie hielt inne. »Luzie kann übrigens so gut wie nichts vertragen. Zwei Gläser, und sie ist zu. Ich kann mindestens drei Mal so viel wegbechern!«
Das war mehr als eindeutig. Wenn sie drei Mal so viel vertrug wie ich, musste er sie auch drei Mal so oft beißen. Dachte sie. Ich machte mich bereit, dazwischenzugehen. Doch zuerst wollte ich wissen, was er jetzt tat.
»Bist du ganz sicher, dass du es willst?«
»Oh, ja!«
»Nun, in dem Falle …«
Ich legte die zehn Meter bis zur Tür des Salons mit einem einzigen Satz zurück. Die Tür flog auf, krachte aus den Angeln und landete mit einem gewaltigen Knall auf dem Parkett. Mit einem weiteren Sprung war ich beim Computertisch, von wo aus Solveig mir mit angstvoll aufgerissenen Augen entgegenglotzte. Es war genau so, wie ich es mir vorstellt hatte. Er hatte sie zwar nicht gerade auf seinem Schoß, aber bestimmt hätte sie im nächsten Augenblick dort gesessen, wenn ich nicht dazwischengefunkt hätte. Sie stand so dicht hinter ihm, dass kein Blatt Papier dazwischengepasst hätte.
Martin lächelte mich teuflisch an.
Seine Zähne sahen ganz normal aus, doch wie ich wusste, konnten sie in Sekundenbruchteilen zu voller Länge hervorschießen, bereit zum Biss.
So wie meine. Wütend fauchte ich Solveig an, die Finger zu Krallen gekrümmt.
»Um Himmels willen, Luzie!«, schrie Solveig, entsetzt und fasziniert zugleich. »Das sieht ja irre aus!«
»Völlig irre«, bestätigte Martin. Jetzt grinste er von einem Ohr bis zum anderen.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund und senkte die Augen. Die Zähne schrumpften auf Normalgröße. Soeben war mir siedend heiß etwas eingefallen. Martin hatte die ganze Zeit gewusst, dass ich draußen in der Halle gelauscht hatte. Seine Nase und sein Gehör, in Jahrzehnten zu voller Perfektion geschärft, waren unvergleichlich viel besser als bei mir. Er hatte mal wieder sein Spiel mit mir getrieben!
Du Scheißkerl, dachte ich, außer mir vor Zorn.
»Nicht doch«, sagte Martin wie zu einem ungezogenen Kind.
Ach, richtig. Meine Gedanken konnte er ja auch lesen.
Wütend funkelte ich ihn an, dann wandte ich mich mühsam beherrscht Solveig zu. »Hallo, Solveig. Entschuldige die stürmische Begrüßung. Manchmal habe ich meine Bewegungen noch nicht so ganz unter Kontrolle.« Ich ging zu ihr und küsste sie auf die Wange. Zuneigung wallte in mir auf, als ich ihr so nah war, doch die Vorbehalte, die ich in letzter Zeit ihretwegen entwickelt hatte, waren immer noch dieselben. Ich konnte ihr nicht mehr trauen. Nicht, nachdem jetzt unzweifelhaft feststand, weshalb sie Die große Aussprache initiiert hatte. Von Anfang an hatte sie damit nur zwei Ziele verfolgt: Erstens wollte sie Martin. Und zweitens einen ordentlichen Biss in den Hals, der sie in einen Vampir verwandeln sollte.
Meine Rolle bei diesem Vorhaben war ebenfalls klar. Sie brauchte mich als eine Art Rückversicherung, für den Fall, dass seine Reaktion auf ihr Ansinnen einfach darin bestanden hätte, ihr den
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