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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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näher und baute sich neben der offenen Haustür auf. Aus der luftigen Höhe ihrer eins achtzig schaute sie ärgerlich auf uns herunter und schnaubte stoßartige Dampfwölkchen in die eisige Luft. Rainer reckte sich und küsste sie aufs Kinn, weiter hinauf kam er nicht. Ich bemerkte mit Interesse, dass sie barfuß war. Ich fragte mich, wie er sie küsste, wenn sie Schuhe anhatte. Wahrscheinlich im Liegen. Darin war er wirklich gut.
    »In einer Stunde bin ich wieder da«, versprach er. »Ich fahr nur mal rasch mit meiner Frau in die Praxis. Sie hat schlimme Probleme.«
    Oh ja, die hatte ich, wenn auch ganz andere, als er dachte.
    »Eine Neue?«, fragte ich. Wir fuhren in meinem Wagen, weil er aufgeheizt war.
    »Babsi? Oh, nein, wir sind schon seit zwei Wochen zusammen.« Er sagte das ganz ernsthaft. Zwei Wochen waren für ihn also schon eine länger andauernde Beziehung. Zwei Monate bildeten demnach vermutlich die Grenze des Zumutbaren. Ein Jahr – wie mit mir – musste die reinste Ewigkeit sein. Seltsamerweise hatte ich mich vorhin zum ersten Mal nicht darüber geärgert, dass er mich schon wieder als seine Frau bezeichnet hatte. Auf eine bestimmte Art rührte es mich sogar. An seiner abstrusen Einteilung in Bumsis und Herzis schien sich seit damals nichts geändert zu haben. Offensichtlich fiel ich für ihn immer noch in die Herzi-Kategorie.
    Er musterte mich von der Seite. »Lu, du bist umwerfend. Habe ich dir schon gesagt, dass du immer, wenn ich dich sehe, schöner geworden bist?«
    »Du sagst es jedes Mal.«
    »Es ist die Wahrheit. Du bist so schön, dass ich mich frage, wie ich dich je verlassen konnte.«
    Na toll, dachte ich entnervt. Die alte Leier.
    »Hast du einen Freund? Du siehst aus, als hättest du in letzter Zeit guten Sex gehabt.«
    Ich zuckte nicht mit der Wimper. »Nicht mit diesem Drahtverhau in meinem Mund.«
    Ich parkte den Wagen vor dem eleganten Jugendstilhaus, wobei ich mir schmerzlich der Tatsache bewusst war, dass nur ein paar Minuten von hier der Ursprung meiner Rastlosigkeit in seiner Villa saß und vielleicht mit meiner ehedem besten Freundin Dinge tat, über die ich nicht nachdenken konnte, weil ich sonst garantiert Amok lief.
    Rainer schloss die Tür zur Praxis auf, knipste das Licht an und half mir aus der Jacke. Im Behandlungsraum herrschte nächtliche Kühle. Rainer setzte einen Infrarotwärmer in Betrieb und holte meine Patientenkarte.
    »Hast du zu viele Nüsse gegessen?«, fragte er, während er mit der Sonde in meinem Mund herumstocherte und an den Drahtresten zupfte. »Man soll nämlich möglichst nichts Hartes kauen, wenn man Brackets trägt.«
    Das Härteste, das ich damit gekaut hatte, war Schnabelnases Hals gewesen.
    »Ich habe mich in letzter Zeit sehr mit dem Essen eingeschränkt«, meinte ich fromm.
    »Dann muss es am Kleber liegen. Schlechte Mischung. Das kommt vor. Und du bist wirklich sicher, dass du die Behandlung vollständig abbrechen willst?«
    »Absolut und unwiderruflich. Alles soll raus.«
    Er entfernte mir die restlichen Brackets, alle Bänder und die Reste des Drahtbogens, und seine Hände mit den Instrumenten bewegten sich dabei flink, geschickt und sanft. Er behandelte mich mit der ihm eigenen Feinfühligkeit, und bei dem gesamten Eingriff tat er mir kein einziges Mal weh.
    Anschließend schliff er mir die Reste des Klebers und des Zements vom Zahnschmelz.
    »Ich könnte schwören, dass sich in der kurzen Behandlungszeit deine Bisslage schon geändert hat«, meinte er anschließend nachdenklich. »Es scheint sogar so, als hätten sich die Knirschspuren gebessert. Obwohl das faktisch kaum möglich ist.« Er tippte mit der Sonde gegen meine Schneidezähne. »Sie sehen außerdem ein bisschen anders aus. Weißer. Fester. Benutzt du irgendwelche Präparate?«
    »Äh … Präparate?«
    »Ja, zum Putzen. Oder nimmst du irgendwas ein?«
    »Ich habe da so ein Zeug zum Gurgeln …«
    Er grinste ungläubig.
    »Sind wir fertig?« Als er langsam nickte, krabbelte ich von der Liege. »Vielen Dank. Du warst meine Rettung. Das war echt nett von dir, Rainer.«
    Er ließ sich meine Versicherungskarte geben und trug ein paar Angaben in den Patientenordner ein. Geschäft war Geschäft, und wozu hatte er eine Kassenzulassung?
    »Normalerweise müsstest du noch eine Weile eine Kunststoffschiene tragen, bis die Zähne wieder vollständig fest geworden sind.«
    »Mir ist nicht aufgefallen, dass sie locker wären.«
    »Sind sie nicht.« Er gab mir meine Versicherungskarte zurück.

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