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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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Schauspielerin stand und über Optionsscheine philosophierte. »Keine Ahnung«, sagte er.
    Niemand hatte sie gesehen, und ich verlor wertvolle Zeit. Ich legte einen olympiareifen Spurt durch die ganze Wohnung hin, um nachzusehen, ob sie sich irgendwo ein stilles Eckchen gesucht hatten. Ich trommelte sogar mit beiden Fäusten so lange an die Tür der Gästetoilette – man konnte ja nie wissen –, bis der Regisseur öffnete, die Hose offen und sein schrumpliges Gehänge draußen.
    »Komm rein«, forderte er mich volltrunken auf.
    »Hast du Solveig gesehen?«
    »Solveig?« Er schaute hinter sich, doch da war nur das Klo.
    Solveig und Martin waren nicht aufzufinden. Ich begriff, dass er mich ausgetrickst hatte. Ohne eine Jacke überzuziehen, rannte ich barfuß aus der Wohnung. Ich hetzte die halbe Treppe nach oben. Rechts ging die Tür zum Dachboden ab, links war der Zugang zur Dachterrasse. Man brauchte einen Schlüssel; die Tür hatte ein Sicherheitsschloss. Ich rüttelte probehalber an der Klinke, doch die Tür war zu. Schwer zu sagen, ob jemand sie aufgeschlossen hatte und nach draußen gegangen war.
    »Solveig?«, brüllte ich. In meinem Kopf hämmerte es, und in meinem Hals stach es wie von tausend Nadelstichen. »Solveig, bist du da draußen?«
    Keine Antwort.
    Mit jagendem Herzschlag sprang ich die eiskalten Steinstufen hinab und rannte zurück in die Wohnung, schnappte mir meine Handtasche und war in zwei Sekunden wieder vor der Tür zur Dachterrasse, wo ich meinen Schlüssel aus der Tasche nestelte und unbeholfen die Tür aufschloss. In der Hektik brach ich mir zwei Fingernägel ab und fluchte lautstark.
    Unten flog die Tür von Frau Herberichs Wohnung auf, und Beethoven schallte ohrenbetäubend durchs Treppenhaus. Ein Bombenangriff hätte nicht lauter sein können. Frau Herberich kam herausgeschlurft. Ihr Nachthemd war zerknittert und wies Flecken undefinierbarer Herkunft auf. Ihr Haar stand wie graue Eisenwolle in allen Richtungen vom Kopf ab, und sie trug keine Zahnprothese. Dafür steckten ihre Füße in erstklassigen, sündhaft teuren Gesundheitslatschen. An ihren hervorstehenden großen Zehen klebten frische Hühneraugenpflaster. Erbost starrte sie zu mir hoch. Dann sah sie anklagend auf ihre Uhr. »Es ist noch nicht Mitternacht! Das Feuerwerk geht nicht vor zwölf los! Was Sie da machen, ist eindeutig nächtliche Ruhestörung!«
    Ich rüttelte an der Tür und stieß sie endlich auf. Ein Schwall stechend kalter Luft traf mich mit der Wucht eines Schlags, gefolgt von einem böigen Schneewirbel, der mir die Sicht nahm und das Atmen erschwerte. Draußen herrschte nicht nur schwärzeste Dunkelheit, sondern auch unglaublich dichtes Schneetreiben. Ich konnte die Hand nicht vor Augen sehen.
    »Solveig!«, schrie ich.
    Nichts.
    »Es ist ja Ihr Problem, wenn Sie bei minus fünfzehn Grad im Nachthemd rauswollen, aber es ist absolut unverantwortlich, mit nackten Füßen in Eis und Schnee rumzulaufen. Die Füße sind die wichtigste Klimazone des Körpers.«
    »Solveig!«, rief ich mit überkippender Stimme. Mit zusammengekniffenen Augen machte ich mich daran, mir meinen Weg durch die Schneewehe zu bahnen, die der Wind vor der Tür aufgetürmt hatte. Zum Schutz hielt ich mir das Cape vors Gesicht und tat einen Schritt nach draußen.
    »Was hast du vor?«, fragte Solveig.
    Ich fuhr herum und sprang zurück ins Treppenhaus. Sie stand unten vor dem offenen Aufzug, die Arme verschränkt, und schaute ungehalten zu mir hoch. Sie hatte ihren Mantel übergeworfen und zusätzlich zum Schutz gegen die Kälte die Mantille um den Hals und über die Ohren drapiert, aber keine einzige Schneeflocke war an ihr zu sehen. Sie war genauso trocken wie Frau Herberich. Daraus konnte ich nur einen Schluss ziehen.
    »Du warst gar nicht draußen«, keuchte ich. Meine Stimme klang brüchig und gehorchte mir kaum. »Du warst gar nicht draußen«, wiederholte ich töricht und drückte die Tür hinter mir zu. Das Heulen des Windes verstummte schlagartig.
    »Das sollte man meinen.« Solveigs Ton war frostig. »Was machst du da im Nachthemd?«
    »Äh … Ich wollte Martin das Cape bringen.« Ich hielt das völlig durchnässte Ding hoch, während ich die Treppe hinabtorkelte. Sie nahm es mir ab und legte es liebevoll über ihren Arm.
    Ich wischte mir den schmelzenden Schnee vom Gesicht. »Wo ist er überhaupt?«
    »Er musste dringend weg. Knall auf Fall, von einer Minute auf die andere. Er hatte einen Anruf.«
    »Anruf?«, echote ich

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